Kautschuk
kurze Zeit wurde er durch das Erscheinen einer jungen Dame gestört, die in Köln zustieg. Selbst die alten Augen des Professors konnten nicht umhin, mit Wohlgefallen den Eindruck dieser jugendfrischen Erscheinung in sich aufzunehmen. Doch als die Kupeegenossin eine Zeitung entfaltete, kehrten seine Gedanken wieder zu dem alten Problem zurück. Aber auf der Weiterfahrt zwang ihn ein natürliches Muß, seine gelehrten Ideengänge noch einmal zu unterbrechen und das Abteil zu verlassen.
Kaum war er hinaus, als die junge Dame aufstand und ihren Koffer anhob, der neben dem des Mitreisenden im Netz lag und ihm sonderbarerweise so ähnlich war wie ein Ei dem anderen. Auch den des Professors hob sie an. Beide Koffer waren ungefähr gleich schwer. Mit ein paar schnellen Griffen vertauschte sie sie auf ihren Plätzen und saß längst wieder in ihre Zeitung vertieft, als Bauer zurückkam.
Der Zug rollte in den Bahnhof von Aachen ein. Der Professor ergriff den Koffer über seinem Platz und verließ mit kurzem Gruß das Abteil.
Kaum war er außer Sicht, so stieg auch die Dame aus. »Hotel Imperial!« rief sie dem Gepäckträger zu.
Im Hotelzimmer öffnete sie, nicht ohne Mühe, den fremden Koffer. Wenige Minuten später hatte sie Tillys Protokoll auf einem Film, und das Original lag wieder an seiner alten Stelle.
Die Dame läutete Alarm nach dem Geschäftsführer, überschüttete ihn mit einem Schwall von Worten. »Mein Koffer ist vertauscht! Ein Herr war mit mir im Abteil – vielleicht mit einem ähnlichen Koffer ... Hat wohl meinen statt seinen mitgenommen ... Nachforschungen anstellen – Zeitungsaufruf – ich muß meine Sachen unbedingt wiederhaben!«
Der Geschäftsführer versprach, alles in Bewegung zu setzen. Er hoffe jedoch, daß jener Mitreisende die Verwechslung inzwischen auch bemerkt habe und sich wahrscheinlich früher oder später an die Bahnhofsverwaltung wenden werde. Dergleichen käme ja öfters vor. »Ich werde den Koffer hier vorläufig in Verwahrung nehmen und gleich jemand zum Bahnhof schicken.« —
Nach seiner dreitägigen Abwesenheit hatte Professor Bauer einen Empfang seiner Gattin überstanden, der eines erfolgreichen Nordpolfahrers würdig gewesen wäre. Dann machte sich Frau Berta über den Koffer her, um nach einem etwaigen Mitbringsel zu fahnden. Nur unter großen Schwierigkeiten gelang ihr die Öffnung. Doch während der Kofferdeckel nach der einen Seite fiel, sank sie mit einem leichten Aufschrei nach der anderen Seite auf einen Stuhl.
»Friedrich! Das soll für mich sein? Aber nein! Wie konntest du dir solch unnütze Dinge aufschwatzen lassen!«
Der Professor sah, über die Kaffeetasse hinweg, seine bessere Hälfte verständnislos an. »Was ist denn, Bertchen?«
Inzwischen hatte diese sich mit den Nylon-Kombinationen zu schaffen gemacht, als ihre geschärften Hausfrauenaugen plötzlich bemerkten, daß die Sachen ja gebraucht waren. »Friedrich! Was soll das bedeuten?«
Der Professor kam zu dem Koffer, warf einen Blick auf den Inhalt, fuhr sich verstört durch die Haare. »Was hab’ ich denn da wieder angerichtet? Das Manuskript Fortuyns ... um Gottes willen, wenn es in unrechte Hände geraten wäre –!«
Frau Berta wandte sich besänftigend an ihren Gatten. »Beruhige dich, Friedrich! Die Dame, der dieser Koffer gehört, meldet sich sicherlich, sobald sie den Tausch bemerkt.«
»Ja – aber wer weiß, wie lange das dauert?« jammerte der Professor. »Sie blieb ja im Zuge sitzen. Ist weitergefahren. Vielleicht schon über die Grenze.«
»Das wäre ja gerade das Gute!« fiel die Frau Professor ein. »Bei der Zollrevision wird sie’s schon merken. Auf jeden Fall werde ich sofort zum Bahnhof telefonieren, ob etwa schon eine Reklamation da ist.«
Die Reklamation war da. Und eine halbe Stunde später hatte Friedrich Bauer seinen Koffer wieder und streichelte liebevoll Tillys Protokoll, während Frau Berta vergeblich nach ihrem Mitbringsel suchte.
Hotel Imperial. Derselbe Name; doch diesmal in Paris. Juliette stand am Fenster und trommelte ungeduldig auf die Scheiben. Steve Hopkins hatte ihr seinen Besuch angemeldet. Er war, wie er ihr offiziell angezeigt hatte, seit einiger Zeit Dolly Farleys Verlobter und befand sich mit ihr auf einer Europareise.
In langer, inniger Umarmung bewillkommnete er Juliette. Immer wieder streichelte er ihr freudeglühendes Gesicht und nahm ihre Jugendfrische in sich auf. Und Juliette gab sich ganz der Freude des Wiedersehens hin, voll innerlichen
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