Kautschuk
Dinge.
»Hat übrigens schon jemand Doktor Moran gesehen?« fragte einer.
»Ich!« rief Rudolf Wendt. »Als ich vorhin an Kampendonks Zimmer vorbeiging, sah ich ihn und bald darauf auch Fortuyn dort herauskommen.«
»Nun, wie sieht er aus?«
»Äußerlich jedenfalls tipptopp. Neueste Mode. Eleganter, schlanker Herr ... muß sagen: sieht –«
Hier fuhr Tilly ihm in die Parade: »Sieht besser aus als Doktor Fortuyn – das wollten Sie wohl sagen, nicht wahr? Haben Sie ihm denn auch angesehen, ob er was kann?«
»Ob er was kann?« sagte Rudi und machte ein wenig geistreiches Gesicht. »Darauf habe ich ihn mir nicht angesehen.«
Alle lachten. »Na ja, Rudi«, sagte Tilly und setzte sich wieder an ihre Arbeit, »Sie können so bleiben!«
»Tillychen, Sie werden wieder mal anzüglich!« rief Rudi lachend. »Na einerlei! Bügelfalte hin, Bügelfalte her – daß es darauf nicht ankommt, teuerste Tilly, das weiß ich. Und ich hoffe mit Ihnen, daß wir das Rennen machen!«
»Wir? – Doktor Fortuyn!« klang es von Tillys Platz.
»Jawohl: Doktor Fortuyn!« äffte Rudi ihr nach. »Wenn ich beim Skat in der Brenne sitze, wechsle ich den Stuhl. Gutes Mittel, Tillychen! Kann es Ihnen sehr empfehlen. Oder spielen Sie keinen Skat?«
Von Tillys Platz klang es herüber wie »Affe!«, doch Rudi fuhr unbeirrt fort: »Nun haben wir sogar das ganze Lokal gewechselt. Da müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht das Rennen machten ... Pardon, Tillychen: nicht wir, sondern Doktor Fortuyn!«
Das Wort kam Tilly wieder ins Ohr, als sie kurz vor Dienstschluß ein Versuchsergebnis beobachtete. Da war sie, die langgesuchte, die hundertfach vergeblich erstrebte Reaktion! Als könne sie es nicht glauben, wiederholte sie das Experiment noch einmal, ohne darauf zu achten, daß die Kollegen das Labor verließen; wie angeschmiedet hockte sie an ihrem Tisch.
Endlich! Da kam die Reaktion wieder – genau so exakt. Tilly sah nach der Uhr und erschrak: zwei Stunden hatte sie hier allein gesessen! Ob Fortuyn noch da war? Wie würde auch er sich freuen! Sie griff nach ihren Aufzeichnungen und der Reagenzröhre, eilte nach Fortuyns Zimmer.
»Herein!« Fortuyn saß mit dem Rücken zur Tür, schaute sinnend durchs Fenster.
»Herr Doktor!«
»Oh, Sie sind’s, Fräulein Tilly? Welch später Besuch! Waren Sie so fleißig?«
»Jawohl, Herr Fortuyn. Ich ...«
Die Worte kamen so stockend, daß Fortuyn sie verwundert ansah. »Was ist denn nur, Fräulein –?«
»Ich – ich kann’s kaum sagen – vor Freude: die Reaktion G 6837 ist gelungen! Ich hab’ sie!«
»Das wäre!« Fortuyn war aufgesprungen, legte ihr beide Hände auf die Schultern, sah ihr in die Augen. »Ich sagte Ihnen ja, daß ich dieser Versuchsreihe besondere Bedeutung beilegte. Aber ich hab’ Ihnen verschwiegen, daß von dem Gelingen ein gut Teil unseres erfolgreichen Weiterarbeitens abhängt. Ich möchte Sie gleich ins Labor begleiten, um Zeuge Ihres Triumphes zu sein.«
Dort prüfte Fortuyn sorgfältig Tillys gelungene Reaktion. »Gratuliere, Fräulein Gerland! Und allerherzlichsten Dank für Ihre erfolgreiche Mitarbeit! Doch nun Schluß!« Er zog die Uhr. »Sie haben ja Ihre Tischzeit längst versäumt.« Er machte eine korrekte Verbeugung vor seiner Assistentin. »Darf ich mir die Ehre geben, Sie zu einem kleinen Siegesmahl einzuladen?«
Tillys Herz schlug hoch hinauf. Mit ihm soupieren ...
Nach dem Mahl saßen sie noch lange zusammen. Fortuyn bat Tilly, doch sofort am nächsten Tag eine genaue Darstellung dieser neuen Reaktion schriftlich niederzulegen, denn übermorgen werde er mit Professor Bauer aus Aachen zusammenkommen. »Auch der wartet schon längst sehnsüchtig auf diesen Erfolg – und ich kann ihm Ihr Exposé dann gleich mitgeben.«
»Hm!« Tilly schüttelte den Kopf und schaute nachdenklich in ihr Weinglas. »Bauer ist leider mit echt professoraler Zerstreutheit gesegnet. Sie legen doch unbedingt Wert darauf, daß die genauen Zahlen vorläufig geheimbleiben? Am besten vielleicht, Herr Fortuyn, ließe es sich so machen ...« Und sie flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Blendende Idee, Tilly! Ja – so machen wir’s!«
Es war ein glücklicher Abend für Tilly, und noch lange haftete die Erinnerung daran in ihrem Herzen.
Professor Bauer saß im D-Zug Berlin–Paris und entwarf in Gedanken eine neue Publikation über Fortuyns Synthese unter Benutzung der wichtigen Fortschritte, die Fräulein Dr. Gerland in einer glücklichen Stunde gelungen waren. Für
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