Kautschuk
Meyer, ist ja plötzlich so dick geworden! Was gäbe ich drum, wenn ich wüßte, was dieses kleine Paketchen in Ihrer Tasche enthält!«
Er ließ den Zwischenraum zwischen Meyer und sich wieder größer werden und folgte ihm um den Häuserblock herum, bis Meyer wieder durch das Tor des Werkes trat. Der Büfettier hatte ja Tag und Nacht ungehinderten Zutritt, weil er bei seinem Bruder, dem Kantinenwirt, im Werk wohnte.
Wittebold zerbrach sich den Kopf, wie er es anstellen könnte, von dem Inhalt des Pakets Kenntnis zu nehmen. Doch vergeblich. Er fand keinen Weg. —
Als er gegen Mittag des folgenden Tages an der Kantine vorbeikam, ging es ihm durch den Kopf: Na – das Paketchen wird ja schon längst unterwegs sein!
Doch dies war ein kleiner Irrtum. Hinter dem Bretterzaun, an dem Wittebold vorüberging, war der Büfettier Meyer gerade beschäftigt, einige Kisten als leere Emballagen für die Firma Boffin in Berlin versandfertig zu machen. Eine kleine Kiste nagelte er mit besonderer Sorgfalt zu, denn zwischen dem alten Packmaterial da drinnen befand sich auch das Paketchen, daß er Dr. Abt en passant aus der Hand genommen hatte. In dem im üblichen Stil gehaltenen Frachtbrief der Sendung waren Zeichen und Nummern der Kisten einzeln aufgeführt. Der Punkt hinter der Nummer jener kleinen Kiste war etwas sehr groß geraten.
Als Boffin den Brief las, machte ihm jener mißratene Punkt anscheinend große Freude. Er fuhr selbst in seinem Auto zu dem Lagerraum und ließ sich die kleine Kiste aushändigen.
Als Schappmann sich an jenem vorhergehenden Abend von Wittebold getrennt hatte, traf er im Hauptgebäude den Kastellan Börner. »So, Börner, da bin ich! Nu stell mir mal deinen Harem vor!«
»Ist eigentlich gar nicht nötig, Schappmann. Kennst doch die olle Schauergarde noch von früher her. Doch halt – nee! Eine Neue ist da. Das heißt aber nur als Vertretung. Nettes Mädchen übrigens. Von mir aus könnt’ sie immer bleiben. Die olle Franzen ist krank, und das Mädchen, was sie vertritt, das wohnt bei ihr. Ist Glasbläserin bei Meister Kunze. Muß ein ordentliches Mädchen sein. Erst acht Stunden in der Glasbläserei, und denn noch sechs Stunden hier reinemachen – ist doch allerhand für so’n junges Ding! Na, nun komm her! Ich werde dir mit den Schlüsseln Bescheid geben. Den Schlüssel zum Sicherheitsarchiv heb’ nur ja gut auf! Du mußt ihn jeden Morgen im Büro abholen. Die anderen Schlüssel hast du unten in deiner Stube im Schrank. Und den Schlüssel zum Schrank mußt du natürlich abgeben.«
Langsam schritten sie durch die Korridore, wo überall Besen und Lappen am Werke waren.
Vor einer der offenen Zimmertüren blieben sie stehen. Bör-
ner zeigte auf die arbeitende Frau darin. »Das ist sie! Anna Grätz heißt sie!« Er rief sie an und deutete auf Schappmann. »Also, Fräuleinchen, das ist hier meine Vertretung, der Herr Schappmann. Wenn Sie also einen Schlüssel brauchen, dann wenden Sie sich an den!«
Das Mädchen richtete sich auf und sah einen Augenblick zu Schappmann hinüber. ›Wäre ein ganz hübsches Mädchen, wenn sie bloß nicht so schlampig wäre!‹ dachte Schappmann; ihr Haar hat noch keinen Kamm gesehen heute morgen. —
Eine Stunde später hatte Börner das Werk verlassen. Schappmann war der alleinige Kommandant der Scheuergarde. —
Wochen waren vergangen. Die Vertretung Schappmanns neigte sich ihrem Ende entgegen. Ein paarmal schon hatte er die junge Scheuerfrau gefragt, ob denn nicht die alte Franzen bald wiederkäme. Doch die hatte nur immer gesagt, es wäre noch gar nicht besser; es könnte noch dauern.
»Na, Fräuleinchen«, hatte Schappmann gemeint, »wird Ihnen denn das nicht doch zuviel auf die Dauer?«
»Ach ja!« hatte sie geseufzt. »Ich wollte gern, daß dies hier ein Ende hätte!« Dabei hatte sie ihre Hände betrachtet, die rot und verarbeitet aussahen. —
Auch Wittebold hatte vorübergehend für das Befinden der Frau Franz ein gewisses Interesse gehabt. Bei seiner Beobachtung des Büfettiers Meyer war er dem einmal bis in das Haus gefolgt, in dem jene Frau Franz wohnte. Doch das, was er da in Erfahrung brachte, bot ihm keinen Anlaß zu irgendeinem Verdacht. Er hatte nur gehört, daß die Frau an einer sonderbaren Krankheit litt. Bald ging es ihr ganz gut, so daß der Arzt ihr Hoffnung machte; dann plötzlich war es wieder so schlecht, daß er vor einem Rätsel stand.
Als Wittebold eines Morgens etwas früher in seinen Dienst ging, traf er Schappmann, der
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