Kautschuk
in Positur, »Sie könnten Ihre Schuld sühnen, mein teures Fräulein Gerland.«
»Na – und wie?« gab Tilly lachend zurück.
»Sehr einfach! Sie übernehmen zu fünfzig Prozent meinen Posten.«
»Altes Faultier!« fuhr Tilly ihn an. »Das ist doch wirklich toll! Ich soll fünfzig Prozent Ihrer Arbeit übernehmen? Bedanke mich. Ihr Vater würde sich auch bedanken.«
»Das ist noch lange nicht raus, Tilly. Ich glaube sogar, der wär’ hundefroh, wenn ich ‘nen tüchtigen Partner mitbrächte.«
Bei seinen letzten Worten hatte Tilly sich zur Seite gewandt. »Ach, seien Sie doch still, Rudi! Was reden Sie da für törichtes Zeug!«
»Törichtes Zeug, Tilly? Ich glaube, ich hab’ nie in meinem Leben so überlegt und vernünftig geredet wie gerade jetzt.«
»Sie sollten doch wissen, Rudi, daß meine Arbeitsstätte hier ist und nirgendwo anders.«
»Vorläufig – meine liebe Tilly, vergaßen Sie zu sagen. Und vorläufig denke ich auch noch gar nicht daran, den Staub hier von meinen Füßen zu schütteln. Wenn Doktor Fortuyns Werk getan ist, dann will ich schon eher daran denken. Und dann, liebe Tilly, werden wir uns weiter sprechen!«
»Na – noch mal gute Nacht, Luise! Dann wollen wir mal gehen, Kollege Wittebold.«
Schappmann und Wirtebold traten aus dem Haus und gingen zum Werk. Vor der Kantine blieben sie stehen. »Na, dann lassen Sie sich’s man gut schmecken, Wittebold! Sie wollen einen Schoppen trinken, und ich mach’ meinen Nachtdienst. Na ja –
wird auch vorübergehen ... und dann haben wir die Pinke!«
Während Schappmann die Treppe zum Hauptgebäude hinaufschritt, ging Wittebold in das Erdgeschoß, wo mehrere Kanrinenräume lagen. Er nahm seinen Platz in der Nähe der Tür, die über einen kleinen Gang hinweg Sicht in das Angestelltenkasino gewährte, und ließ sich ein Glas Bier geben. Was würde wohl der brave Schappmann sagen, dachte Wittebold, wenn er wüßte, daß sein solider Mieter in der letzten Zeit so häufig spät abends in die Kantine geht, um einen Schoppen zu trinken?
Als die Uhr elf schlug, rückte Wittebold seinen Stuhl so, daß er das Büfett im Kasino gut im Auge behalten konnte. Das Kasino leerte sich; die Kellner räumten die Tische ab. Der Büfettier rechnete mit ihnen ab und verschloß dann Schränke und Türen.
Wittebold blieb sitzen, da die Kantine ja die ganze Nacht in Betrieb blieb. Eine gute Viertelstunde mochte vergangen sein, da wurde die Tür des Kasinos nach dem Zwischenflur geöffnet, und Meyer trat auf den Gang. Wittebold hörte, wie eine kleine Pforte aufging, die ins Freie führte.
»Endlich mal!« murmelte er vor sich hin, zahlte sein Bier und verließ die Kantine. Vorm Fabrikhof schlug er den Mantelkragen hoch und streifte die blaue Brille über. Aus dem Futter seines Mantels zog er einen Spazierstock mit Gummizwinge, an dem er wie ein gebrechlicher Invalide der Stadt zuhumpelte. Ungefähr hundert Meter vor ihm auf dem anderen Trottoir ging der Büfettier Meyer.
Als Wittebold um den Rathausplatz bog, zog er den Kopf plötzlich noch tiefer in den Rockkragen ein. ›Verflucht noch mal – ist Essig!‹ dachte er bei sich.
Der Herr, der in diesem Augenblick dicht an ihm vorüberging, war Dr. Abt. Wittebold überlegte im Weiterhumpeln, ob er Meyer noch weiter folgen sollte; denn wenn Abt mit Meyer was vorhatte, hätte er doch den Büfettier zweifellos im Vorbeigehen sehen müssen. Dann aber sagte er sich: ›Ist’s nicht Dr.
Abt, ist’s vielleicht irgendein anderer, mit dem Meyer sich irgendwo treffen will. Also nur weiter!‹
Meyer war inzwischen in eine breite Seitenstraße eingebogen. Wittebold folgte ihm, indem er sich auch hier immer auf dem anderen Bürgersteig hielt. Die Straße war sehr schwach belebt. Soweit es möglich, musterte Wittebold die Passanten.
Ein Herr, der eiligen Schrittes auf demselben Bürgersteig wie Meyer daherkam, fiel ihm auf. »Zum Donnerwetter – das ist ja noch mal Dr. Abt!«
Unwillkürlich beschleunigte auch Wittebold seine Schritte. Als Dr. Abt noch ungefähr zehn Meter hinter Meyer war, nahm er ein Paketchen, das er bisher in der Linken getragen hatte, in die Rechte. Obgleich das Trottoir reichlich breit war, ging Dr. Abt so dicht an Meyer vorbei, daß er ihn beim Überholen fast streifte. Eine Sekunde später sah Wittebold, daß das Paketchen aus Abts Hand verschwunden war, ohne daß der irgendeine Bewegung mit der Hand oder dem Arm gemacht hatte.
»Ah!« brummte Wittebold. »Ihre linke Manteltasche, mein lieber
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