Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Polizist war, und wenn er nicht die ganze Zeit am Apparat geblieben wäre, als sie ihn hereinließ, dann hätte Marino jetzt nicht hier in ihrem Wohnzimmer gesessen.
Detective Marino war ein großer Mann mit wettergegerbter Haut und einem geröteten Teint, weshalb sie sich Sorgen um seinen Blutdruck machte. Sein zum Großteil kahler Schädel wurde von einem kläglichen grauen Haarkranz umrahmt, und er hatte die Ausstrahlung eines Menschen, der es sich im Leben nicht leicht gemacht hatte. Offenbar ließ er sich nicht gern etwas sagen, und vermutlich war mit ihm nicht gut Kirschen essen. Sie war sicher, dass er zwei Gauner, einen mit jeder Hand, gleichzeitig am Schlafittchen packen und sie wie Heupuppen durchs Zimmer schleudern konnte. Wahrscheinlich war er in seiner Jugend ein attraktiver Mann gewesen. Außerdem nahm sie an, dass er allein stehend war - wenn nicht, sollte er sich schleunigst eine neue Freundin suchen, denn keine anständige Frau hätte ihrem Mann erlaubt, in dieser Aufmachung das Haus zu verlassen. Also war er ihr entweder gleichgültig, oder sie hatte eine fragwürdige Kinderstube.
Ach, wie gern hätte Shrew ihm ein paar Modetipps gegeben. Wenn ein Mann kräftig gebaut war, sorgten billige, zu knapp geschnittene Anzüge (insbesondere schwarze), kombiniert mit weißen Baumwollhemden ohne Krawatte und Schnürschuhen mit Kreppsohle, dafür, dass der Bedauernswerte ein wenig wie Herman Munster aussah. Allerdings würde sie sich den guten Rat verkneifen. Schließlich hätte er genauso reagieren können wie damals ihr Ehemann. Also gab sie sich Mühe, den Detective nicht zu prüfend zu mustern.
Stattdessen plapperte sie unaufhörlich, griff immer wieder nach ihrem Glas, fragte ihn, ob er etwas wolle, trank und stellte das Glas wieder weg. Je mehr sie redete und trank, desto weniger sagte er, sondern saß einfach schweigend im Lieblings-Ledersessel ihres Mannes.
Detective Marino hatte ihr den Grund seines Besuchs noch immer nicht verraten.
»Jetzt aber genug von mir«, sagte sie nach einer Weile. »Sie haben Ihre Zeit ja sicher nicht gestohlen. In welcher Sache ermitteln Sie noch einmal? Ein Einbruch, nicht wahr? So etwas geschieht um diese Jahreszeit häufig. Wenn es nach mir ginge, würde ich in einem bewachten Gebäude mit Pförtner wohnen. Was ist denn gegenüber los? Vermutlich sind Sie deshalb hier.«
»Ich würde mich freuen, wenn Sie mir alles darüber erzählen, was Sie wissen«, erwiderte Detective Marino. Seine massige Gestalt in dem Sessel schien ihren Ehemann in ihrer Erinnerung schrumpfen zu lassen. »Haben Sie es aus der Post, oder haben Sie mit Ihren Nachbarn geredet?«
»Keins von beidem.«
»Ich bin nur neugierig, weil in den Nachrichten noch kaum darüber berichtet wurde. Wir geben aus gutem Grund keine Einzelheiten heraus. Je weniger derzeit bekannt ist, desto besser. Das leuchtet Ihnen doch ein, oder? Also bleibt unser kleines Gespräch unter uns. Nichts zu den Nachbarn oder zu sonst irgendjemandem. Ich bin Sonderermittler bei der Staatsanwaltschaft, also bei Gericht. Sie möchten doch sicher kein Gerichtsverfahren behindern. Haben Sie schon einmal von Jaime Berger gehört?«
»Ja, natürlich«, antwortete Shrew und bereute im nächsten Moment, dass sie zugegeben hatte, etwas zu wissen. »Ich bewundere ihren Einsatz für Tierrechte.«
Marino betrachtete sie schweigend. Sie erwiderte wortlos seinen Blick, bis sie es nicht mehr aushielt.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte sie und griff nach ihrem Glas.
Seine Brille funkelte wie eine Taschenlampe, während er sich aufmerksam in ihrer Wohnung umsah, als suchte er etwas Verstecktes oder Verlorenes. Besonders schien er sich für ihre umfangreiche Sammlung von Hunden aus Porzellan und Kristall sowie für ihre Fotos zu interessieren. Sie zeigten sie und ihren Mann mit den verschiedenen Hunden, die sie im Laufe ihres Ehelebens besessen hatten. Shrew liebte Hunde, und zwar mehr als ihre eigenen Kinder.
Zu guter Letzt betrachtete der Detective den braun-blau gemusterten Flechtteppich unter dem alten Couchtisch aus Kirschholz.
»Haben Sie einen Hund?«, erkundigte er sich.
Offenbar waren ihm die kleinen schwarzweißen Hundehaare aufgefallen, die sich in den Teppich eingegraben hatten. Mit dem Staubsauger bekam sie sie einfach nicht weg, und sie hatte keine Lust, jedes Haar auf Händen und Knien einzeln herauszupflücken und dabei Ivys viel zu frühen Tod zu betrauern.
»Ich bin
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