Kay Scarpetta 16: Scarpetta
immer höchst verdächtig und lässt mich stark an seinem Geisteszustand zweifeln. Auch wenn er die Laptops nicht gefunden hat, muss er wissen, dass wir uns Zugriff auf ihre E- Mails verschaffen können, sobald wir ihren Benutzernamen und ihren Provider ermittelt haben. Diese werden uns wiederum zu seinen E-Mails führen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass er und Terri nicht regelmäßigen Mail-Kontakt gehalten haben. Und dennoch scheint ihn das nicht zu kümmern. Wenn er nicht in einer Isolierzelle sitzen würde, hätte er die Möglichkeit, sich nach Hause zu verdrücken und an seinem Computer herumzudoktern. Aber er hat es nicht einmal versucht. Warum?«
»Vielleicht findet er es unnötig, weil er nichts verbrochen hat. Oder er kennt sich nicht gut genug mit Computern aus, um unbemerkt etwas zu verändern. Falls er hingegen der Täter ist und den Mord geplant hat, könnte er den Computer im Voraus manipuliert haben.«
»Ein ausgezeichneter Einwand. Vorsatz von Seiten eines Menschen, der sich für klüger hält als wir. Er spielt erst an seinem Computer herum, und dann lässt er sich ins Bellevue einweisen, weil er angeblich befürchtet, der Täter könnte ihn sich als Nächstes vorknöpfen. Er hat euch ein Märchen aufgetischt und amüsiert sich dabei wahrscheinlich königlich.«
»Ich habe nur ganz sachlich mehrere Möglichkeiten in den Raum gestellt«, widersprach Benton. »Hier ist noch ein Vorschlag: Er ist nicht der Mörder, rechnet aber damit, dass alle ihn verdächtigen werden. Indem er sich selbst ins Bellevue einliefert, verschafft er sich die Möglichkeit, sich von mir und Kay untersuchen zu lassen und vielleicht eine einflussreiche Person davon zu überzeugen, dass er unschuldig und in Gefahr ist.«
»Behaupte jetzt bloß nicht, dass du das wirklich glaubst.« »Was ich glaube, ist, dass er Kay für seine Retterin hält. Ganz gleich, was er getan oder nicht getan hat.«
»Ja, er klammert sich an sie, weil er mir nicht vertraut.« »Er fühlt sich von dir beleidigt.«
»Spielst du auf seinen Anruf in meinem Büro vor einem Monat an? Die Hälfte der Verrückten in dieser Stadt rennt mir die Bude ein. Stimmt, dass ich nicht mit ihm reden wollte. Daran ist nichts Ungewöhnliches. Von den meisten Anrufen erfahre ich nicht einmal, geschweige denn, dass ich sie annehme. Er hat mich als „Superzicke“ bezeichnet und hinzugefügt, es sei nur meine Schuld, wenn ein Unglück geschehen würde.«
»Und zu wem hat er das gesagt?«, erkundigte sich Benton. »Zu Marino? Bei ihrem Telefonat im letzten Monat?« »Ich habe es auf Band«, entgegnete sie. »Hoffentlich fällt es der Presse nicht in die Hände.«
»Das wäre sicherlich nicht hilfreich. Denn schließlich ist ein Mord geschehen. Wir müssen Oscar Bane also mit Glacehandschuhen anfassen. Bei jedem anderen wäre ich in einer solchen Situation viel härter rangegangen. übrigens ist meine Prämisse, dass er seine Freundin ermordet hat. Diese Erklärung scheint mir die logischste zu sein. Und das heißt, dass seine Paranoia einen konkreten Grund hat. Er hat Angst, überführt zu werden.«
Sie griff nach ihrem Aktenkoffer. Als sie ihren Stuhl zu- rückschob, rutschte ihr Rock so weit hoch, dass Benton die Lücke zwischen ihren schlanken Schenkeln sehen konnte.
»Solange wir keine Beweise haben«, sagte Benton, »sollten wir Oscar Banes Version der Ereignisse nicht einfach abtun. Es ist durchaus möglich, dass er verfolgt wird. Jedenfalls spricht nichts dagegen.«
»Das Gleiche gilt für die Existenz des Ungeheuers von Loch Ness. Alles ist möglich. Ich habe den Eindruck, auf einer tickenden Zeitbombe zu sitzen, weil wir seinen Anruf letzten Monat nicht ernst genommen haben. Es würde uns gerade noch fehlen, dass der Amerikanische Verband der Kleinwüchsigen eine Mahnwache vor unserem Bürogebäude abhält. Ein zusätzliches Problem kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Ich habe ohnehin schon genug um die Ohren. Apropos, ich muss dich noch etwas fragen.«
Nachdem sie ihren Mantel geholt hatte, durchquerten sie die vollbesetzte Cafeteria.
»Muss ich mir Sorgen machen, dass Kay bei CNN darüber spricht, falls es zu einem Skandal kommt?«, fragte sie. »Könnte das der Grund sein, warum Oscar Bane darauf bestanden hat, sie hinzuzuziehen? Will er in die Nachrichten?«
Benton blieb an der Kasse stehen, um zu bezahlen.
»Das würde sie dir nie antun«, antwortete er, als sie vor der Tür standen.
»Ich musste mich
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