Kay Scarpetta 16: Scarpetta
vergewissern.«
»Selbst wenn sie so ein Mensch wäre, dürfte sie es gar nicht«, fuhr Benton auf dem Weg zum Atrium fort. »Entweder ist sie seine Ärztin oder deine Zeugin.«
»Ich bin nicht sicher, ob Oscar Bane sich das alles überlegt hat, als er eine Audienz bei ihr forderte und einen Hausbesuch verlangte«, erwiderte Berger. »Vielleicht wollte er ihr nur ein Exklusivinterview geben.«
»Keine Ahnung, was zum Teufel in seinem Kopf vorgeht, aber ich hätte sie nicht dazu überreden dürfen, sondern sie mit allen Mitteln daran hindern sollen.«
»Jetzt klingst du wie ein Ehemann. Vermutlich gibst du mir die Schuld.«
Er antwortete nicht.
Ihre hohen Absätze klapperten auf dem polierten Granit. »Wenn Oscar Bane unter Anklage gestellt wird«, sagte sie, »könnten sich seine Äußerungen gegenüber Kay als die einzige einigermaßen zuverlässige Information erweisen. Deshalb ist es gut, dass sie ihn untersucht, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen. Wir wollen, dass er zufrieden ist und bevorzugt behandelt wird. Außerdem möchten wir ihn und alle in seinem Umfeld schützen.« Sie zog ihren Mantel an. »Als Marino Oscar Bane am Telefon befragte, brachte Oscar das Wort Hassverbrechen ins Spiel. Ständig wiederholte er gegenüber Marino, dass er kleinwüchsig sei. Marino verstand natürlich nicht genau, was er damit meinte, und musste nachfragen. „Ein verdammter Zwerg“, erwiderte Oscar, der ziemlich aufgebracht war. Er behauptete, er werde verfolgt und beschattet.«
Bergers Mobiltelefon läutete.
»Kay muss erfahren, dass Marino hier ist«, fügte sie hinzu, als sie ihr Headset aufs Ohr steckte. Während sie lauschte, zeigte sich Zorn auf ihrem Gesicht. »Das werden wir noch sehen«, sagte sie. »Es ist absolut nicht hinzunehmen ... Ob ich damit gerechnet habe? Nun, inzwischen hat es offenbar Methode, aber ich habe gehofft ... Nein, nein, nein, ich kann nicht. Ganz gewiss nicht in diesem Fall ... Mir wäre es lieber, wenn nicht ... Ja, das tut sie, allerdings zögere ich aufgrund gewisser Umstände ... Ja, das habe ich. Wer zum Teufel kennt es inzwischen nicht?« Sie sah Benton an. »Dann begreifen Sie vielleicht, warum ich ablehne ...
Aha, ich verstehe Sie laut und deutlich. Wie auch schon beim ersten Mal. Ich könnte sie fragen, ob sie sich mit Ihnen in Verbindung setzen will. Allerdings würde ich ihr nicht verdenken, wenn sie sich so schnell wie möglich aus dem Staub macht und den nächsten Flieger nach Boston nimmt ... «
Sie beendete das Gespräch.
Inzwischen standen sie vor dem Krankenhaus auf dem Gehweg. Es war kurz vor vier, und es wurde dunkel. Die Kälte verwandelte ihren Atem in kleine Kondenswolken.
»Marino möchte niemandem weh tun.« Benton musste das einfach loswerden. »Er hat es nicht gewollt.«
»Soll das heißen, er hat Kay rein zufällig vergewaltigt?«, entgegnete sie kühl, während sie die Sonnenbrille aufsetzte, deren graue, verspiegelte Gläser ihre Augen verbargen. »Oder ist die Meldung heute im Internet eine Lüge? Ich wünschte, du hättest ihn nicht ausgerechnet in meinem Büro untergebracht. Er ermittelt in diesem Fall, und deshalb kann ich unmöglich verhindern, dass sie beiden einander irgendwann begegnen. Du musst mit ihr reden.«
»Der Inhalt dieser Klatschkolumne vermittelt einen vollkommen falschen Eindruck.«
»Ein forensischer Linguist hätte viel Spaß mit dieser Äußerung. Aber ich nehme dich beim Wort. Die Meldung im Internet ist also erstunken und erlogen. Schön, das zu hören.« Sie zog Handschuhe aus Nappaleder an und schlug den Kragen ihres Nerzmantels hoch.
»Das habe ich nicht behauptet«, erwiderte er.
Sie blickte zum Empire State Building, das sich, nun wegen der Feiertage rot und grün beleuchtet, in der Ferne erhob. Auf dem Dach blinkte eine Warnlampe. Berger legte Benton die Hand auf den Arm.
»Hör zu«, meinte sie ein wenig versöhnlicher. »Du hättest mir erklären müssen, dass Marino Charleston und Kay verlassen hat, weil er gewalttätig gegen sie geworden ist. Ich werde mir große Mühe geben, verständnisvoll zu sein. Ich weiß, wie sehr dich das mitgenommen haben muss. Ich sollte das wohl am besten nachvollziehen können.«
»Ich bringe das in Ordnung.«
»Du wirst gar nichts in Ordnung bringen, Benton. Du musst nach vorn schauen. Das gilt für uns alle. Und wir sollten uns jeden Schritt gründlich überlegen.«
Als sie die Hand von seinem Arm nahm, fühlte es sich an wie eine
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