Kay Scarpetta 16: Scarpetta
hereinplatzen will. Also habe ich geläutet, die Tür wurde aufgerissen, und dieser Kerl stürzte sich auf mich. Er zerrte mich in die Wohnung und knallte die Tür zu. Das war der Mörder. Es ist derselbe Mann, der mich verfolgt, mir nachspioniert und mich quält. Zumindest gehört er zu der Bande.«
Der zeitliche Abstand von vierundzwanzig Stunden passte zum Zustand von Oscars Verletzungen. Das bedeutete jedoch nicht, dass er die Wahrheit sagte. »Wo ist Ihr Mantel jetzt?«, wollte Scarpetta wissen. Er starrte an die Wand.
»Oscar?«
Er reagierte nicht. »Oscar?«
Als er antwortete, wandte er den Blick nicht von der Wand ab. »Dort, wo sie ihn hingebracht haben. Die Cops. Ich habe ihnen gesagt, sie könnten mein Auto mitnehmen, es durchsuchen und damit machen, was sie wollten. Aber ich habe ihnen nicht gestattet, mich anzurühren, sondern verlangt, dass Sie gerufen werden. Ich hätte ihr nie etwas angetan.«
»Erzählen Sie mir mehr von Ihrem Kampf mit dem Unbekannten.«
»Wir befanden uns in der Nähe der Tür. Es war stockdunkel. Er hat mich mit einer Taschenlampe aus Plastik geschlagen und mein T-Shirt zerrissen. Es ist völlig zerfetzt und blutig.« »Sie sagten doch, es sei stockdunkel gewesen. Woher wussten Sie, dass er eine Taschenlampe hatte?«
»Als er die Tür aufmachte, hat er mir damit in die Augen geleuchtet und mich geblendet. Dann hat er mich angegriffen. Wir haben gekämpft.«
»Hat er etwas gesagt?«
»Ich habe nur ein lautes Keuchen gehört. Danach ist er weggelaufen. Er trug eine dicke Lederjacke und Lederhandschuhe. Wahrscheinlich ist er nicht verletzt und hat auch weder DNA noch Fasern hinterlassen. Oder etwas Vergleichbares. Er war schlau.«
Oscar war es, der hier schlau war. Er beantwortete Fragen, die ihm niemand gestellt hatte. Und er log.
»Ich habe die Tür zugeschlagen, abgeschlossen und überall das Licht angemacht. Anschließend habe ich nach Terri gerufen. Mein Nacken fühlt sich noch immer an, als ob mich eine Katze gekratzt hätte. Hoffentlich kriege ich keine Entzündung. Vielleicht sollten Sie mir ein Antibiotikum verordnen. Ich bin froh, dass Sie hier sind. Ich habe gefordert, dass Sie kommen. Alles geschah so schnell, und es war so dunkel ... « Wieder flossen Tränen, und er begann zu schluchzen. »Ich habe ganz laut nach Terri gerufen.«
»Die Taschenlampe«, wandte Scarpetta ein. »War sie an während der Prügelei?«
Er zögerte, als hätte er noch nicht darüber nachgedacht. »Er hat sie wohl ausgeschaltet«, beschloss er dann. »Vielleicht ist sie ja auch kaputtgegangen, als er mich damit geschlagen hat. Möglicherweise gehört er einem Killerkommando an. Keine Ahnung. Mir ist es egal, wie schlau sie sind. Es gibt keinen perfekten Mord. Sie zitieren doch immer Oscar Wilde: „Niemand verübt ein Verbrechen, ohne dabei eine Dummheit zu begehen.“ Mit Ausnahme von Ihnen. Sie würden es schaffen, ungeschoren davonzukommen. Nur jemandem wie Ihnen würde ein perfekter Mord gelingen. Zumindest haben Sie das behauptet.«
Scarpetta konnte sich nicht erinnern, je Oscar Wilde zitiert zu haben, und dass sie den perfekten Mord begehen könnte, so eine dumme und geschmacklose Äußerung hätte sie niemals von sich gegeben. Sie untersuchte eine Ansammlung halbmondförmiger Fingernagelspuren an seiner muskulösen linken Schulter.
»Er hat einen Fehler gemacht. Er muss mindestens einen Fehler gemacht haben. Ich weiß, dass Sie ihm auf die Schliche kommen werden. Sie sagen doch immer, dass Sie jedem auf die Schliche kommen.«
Das hatte sie ebenfalls niemals behauptet.
»Vielleicht liegt es an Ihrer Stimme und Ihrer Ausdrucksweise. An Ihrer natürlichen Art. Sie sind sehr schön.«
Er ballte die Hände auf dem Schoß zu Fäusten.
»Jetzt, wo ich Sie persönlich sehe, weiß ich, dass es nicht an der Maskenbildnerin oder an der Kameraführung liegt.« Seine blau-grünen Augen fixierten ihr Gesicht.
»Ein bisschen wie Katherine Hepburn, nur dass Sie blond und nicht so groß sind.«
Seine Fäuste zitterten, als versuchte er mit aller Macht, sich zu beherrschen.
»Ihnen stehen Hosen sehr gut, so wie Terri. Das habe ich nicht anzüglich gemeint. Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten. Ich wünschte nur, Sie würden mich umarmen. Es wäre sehr wichtig für mich.«
»Ich kann Sie nicht umarmen. Sie verstehen doch sicher, warum«, entgegnete sie.
»Sie sagen immer, dass Sie freundlich zu den Toten sind.
Sie verhalten sich
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