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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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Ich versagte mir das Morphium, bis ich ein zitterndes Wrack war.
Aber ich begehrte sie noch immer.
     
Und so begann es, das schamlose Planen und Ränkeschmieden, um eine Verbindung zwischen Christine und mir herzustellen.
    In den Garderoben kam es zu einer Reihe kleinerer Zwischenfälle, bis man sie schließlich genau dort unterbrachte, wo ich sie haben wollte: in einem lange nicht benutzten Raum am Ende eines selten begangenen Korridors. Hier, in diesem Raum, hatte ich vor vielen Jahren die Vorsichtsmaßnahme ergriffen, ein System von Drehzapfen hinter dem großen Spiegel anzubringen, um den alten Gang der Kommunarden zu verbergen, der nach unten zum See führte. Die schäbige, unbequem gelegene Garderobe war bei den Künstlern sehr unbeliebt. Man sagte, in ihr spuke es. Mit einigen geschickten Bauchrednertricks hatte ich mehr als einen unglücklichen Bewohner vertrieben.
    Doch jetzt war ich froh über diesen Raum, froh über das Glas, das Christine als Spiegel erschien, mir dagegen ein Fenster war. Abend für Abend stand ich hinter der Wand und bewunderte sie schweigend, während ihre Friseuse ihr das schöne dunkle Haar auskämmte. Ich sah, wie ihr Gesicht blicklos in den kleinen Spiegel auf dem Ankleidetisch starrte. Ihre Augen waren immer fern und sorgenvoll und unaussprechlich traurig, wenn sie in dem Spiegel hoffnungslos nach etwas suchten, das nie auftauchte. Unmittelbar bevor der Vorhang aufging, saß sie oft ganz still da, die Hände an die Schläfen gepreßt, als lausche sie intensiv einer Stimme, die sie gar nicht hören konnte. Inzwischen wußte ich, daß ihr Vater vor einiger Zeit gestorben war, daß sie unzertrennlich gewesen waren und daß sie seinen Tod noch immer mit unnatürlicher, ja krankhafter Intensität betrauerte. Diese ruhige, beherrschte und doch unendlich zerstörerische Traurigkeit flößte mir das glühende Verlangen ein, sie zu trösten, obwohl ich sie gleichzeitig mit den Augen verschlang.
    Ich wußte, dieses Mädchen war von Natur aus nicht zum Überleben geboren. Die Welt würde es bedenkenlos unter ihrem grausamen Absatz zerquetschen, würde niemals die zarten Blütenblätter sehen, die zerdrückt und zertreten im Schlamm lagen. Gehässige Rivalinnen, unfreundliche Kritiker, rücksichtslose Manager und zweifelhafte Vorgesetzte –, ich krümmte mich beim Gedanken an das Leid, das ihr unvermeidlich bevorstand. Ohne den Schutz eines starken Mannes würden die brutalen Anforderungen eines notorisch harten Berufs sie an Körper und Seele zerstören. Sie war eine liebliche, empfindliche Blüte, die ich um jeden Preis retten wollte. Ich wollte sie sicher im Labyrinth unter der Oper einpflanzen, wollte sie vor der Welt verstecken. Ich konnte sie gedeihen lassen, wenn ich es nur wagte, die Hand auszustrecken und sie aus dem unfruchtbaren Boden zu lösen, der ihre natürliche Begabung hemmte.
Sie heimlich entführen – welcher Wahnsinn.
    »Gehen Sie!« sagte sie eines Abends grob zu ihrer Garderobiere. »Mademoiselle!«
»Gehen Sie, gehen Sie weg!«
Erschrocken fuhr ich hinter dem Spiegel zusammen, als Christine in den Raum stürzte und sich auf den kleinen Stuhl an ihrem Ankleidetisch fallen ließ. Nach all den Wochen, in denen ich sie beobachtet hatte, hatte ich nie erwartet, sie könne genügend Energie für den Wutanfall einer Primadonna aufbringen. Etwas war geschehen. Etwas hatte sie aus ihrer gewohnten Apathie gerissen und ihr bleiches Gesicht gerötet.
    » Dieses Biest!« schrie sie, als die Garderobiere gegangen war, offenbar ebenso verblüfft wie ich. »Diese fette Kuh, diese fette, gemeine Kuh . . . Ich singe nicht wie ein mickriger Spatz, nein! Ich hoffe, du bekommst Knoten an den Stimmbändern, Carlotta. Ich hoffe, daß du jedesmal, wenn du den Mund aufmachst, quakst wie die gräßliche Kröte, die du bist!«
    Über diesen prächtigen Ausbruch mußte ich beinahe lächeln und den Impuls unterdrücken, ihr zu applaudieren, als Christine plötzlich den Kopf auf den Ankleidetisch legte und zu weinen begann wie ein verlorenes Kind.
    »Nein, das wünsche ich mir nicht«, flüsterte sie gebrochen. »So etwas Böses wünsche ich mir nicht, Gott möge mir verzeihen. Ich weiß, daß es stimmt, ich kann nicht singen, ich konnte es nie. Oh, Papa, warum hast du mir Versprechungen gemacht, die du nicht halten konntest? Es gibt keinen Engel der Musik, der auf mich wartet. Es hat nie einen Engel der Musik gegeben. Warum hast du gelogen? Warum hast du mir nicht einfach gesagt, daß ich nie

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