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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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mich bis zu seinem Todestag Kind bleiben. Und dann mußte ich plötzlich über Nacht erwachsen werden.
    Ich trat ins Konservatorium ein, um Gesang zu studieren, wie er es gewünscht hatte, aber nach der ersten Woche wußte ich, daß ich nie in der Lage sein würde, seine Träume zu verwirklichen. Ich würde nie eine große Primadonna werden. Entweder hatte ich das Singen verlernt, oder ich hatte es überhaupt nie gekonnt. Zunehmend glaubte ich, daß letzteres der Fall war. Papa war ein wunderbarer Musiker, aber seine väterliche Liebe hatte seine Urteilskraft getrübt. Er hatte mir ein Traumschloß gebaut und ließ mich dort allein. Tag um Tag entfernte ich mich weiter von den schönen Räumen, die wir zusammen bewohnt hatten, bis ich mich im Kerker der Verzweiflung eingeschlossen fand. Das war ein Ort, von dem Papa mir nie erzählt hatte. Ich wußte nicht, daß es ihn gab, bis ich hörte, wie seine schwere Tür hinter mir zufiel. Ich wußte allerdings, daß ich nie wieder herauskommen würde, weil ich den Schlüssel nicht besaß. Und der Engel der Musik würde mich jetzt niemals finden, selbst wenn er sich die Mühe machte, mich zu suchen. Ich hatte den Willen, nach Vollkommenheit zu streben, und die Fähigkeit zum Träumen verloren. Manchmal hatte ich das Gefühl, nur halb am Leben zu sein.
    Und dann, an genau dem Abend, als ich endlich beschlossen hatte, meine hoffnungslose Karriere aufzugeben, war auf einmal der Engel der Musik da – in mir.
    Ich kann kaum schildern, was ich empfand, als ich zum ersten Mal seine Stimme hörte. Es war ein ungeheurer Jubel, aber auch eine schreckliche Angst, seiner nicht wert zu sein, so daß er mich ebenso plötzlich und geheimnisvoll verlassen würde, wie er gekommen war. Noch heute, nach dreimonatiger Anleitung und Fortschritten, die sogar in meinen eigenen Ohren erstaunlich sind, plagt mich die Furcht, daß es mir eines Tages nicht gelingen wird, ihm zu gefallen. Er ist so streng und genau in seiner Forderung nach Vollkommenheit. Er lobt mich nie, selbst wenn ich weiß, daß ich gut war. Er bleibt zurückhaltend und kühl in seiner zeitlosen, unzerstörbaren Weisheit, und ich weiß, daß die Verehrung eines sterblichen Herzens ihm nichts bedeuten kann.
    Aber seine Stimme ist meine Inspiration und meine Belohnung. Wenn er fort ist, möchte ich nur noch schlafen, denn ich weiß, daß ich in meinen Träumen diese Stimme wieder hören werde.
Ich lebe mit Christine in einem Traum.
    Es gibt keine Realität, keine Existenz außerhalb jener flüchtigen Stunden, in denen ich sie unterrichte. Die Zeit zwischen ihren Lektionen ist eine sinnlose Leere. Die Abende, an denen sie nicht ins Theater kommt, sind endloses, ängstliches Warten. Mir kommt es so vor, als würde ich derzeit nur die Uhr anstarren, um die Zeit voranzutreiben, damit ich ihr wieder nahe sein kann.
    Der Kalender sagt mir, daß drei Monate vergangen sind, aber es könnten auch drei Sekunden oder drei Jahrhunderte sein, so gering ist der Unterschied. Ich bin berauscht von meiner Macht über ihre Stimme. Ich habe die Ketten der Mittelmäßigkeit gesprengt, mit denen das Konservatorium sie gefesselt hatte, und ihr die Freiheit gegeben, die Spannweite ihrer eigenen Begabung zu erforschen. Alles, was sie brauchte, waren Glaube und Wille und Inspiration, und die hat sie in meiner Stimme gefunden.
    Jetzt ist sie bereit, sich dem Beifall der Welt zu stellen, und nichts auf dieser Erde wird mich daran hindern, ihre Karriere hier an der Oper zu lenken.
    Ehe der Engel der Musik mich heute abend verließ, hat er mir etwas höchst Seltsames gesagt. Er sagte, ich müsse darauf vorbereitet sein, in der Galavorstellung am Freitagabend Carlottas Rolle zu singen. Ich fragte ihn, wie das möglich sein solle; selbst im Falle, daß Carlotta nicht erscheint, wird niemand an mich denken, denn ich bin nicht die zweite Besetzung.
    »Du sollst keine Fragen stellen«, sagte er kühl. »Alles wird nach meinem Willen arrangiert werden, mehr brauchst du nicht zu wissen.«
    Ich war erschrocken. Ich bat ihn, mir das nicht anzutun, ich sei noch nicht bereit, mich einer solchen Herausforderung allein zu stellen.
    »Du wirst nicht allein sein«, sagte er da freundlicher, »ich werde die ganze Zeit bei dir sein. Und solange du an mich glaubst, wirst du Innerlich meine Stimme hören und dich nicht fürchten, selbst wie ein Engel zu singen. Vertrau mir, Kind. Gib mir deine Seele, und ich will dir dafür die Herzen von Paris geben.«
La Carlotta ist

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