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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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Habe ich ihn so weit gebracht, daß er ihr jetzt nachspioniert? Nun, wenn er nur ein Zehntel von dem empfindet, was ich für sie fühle, dann dürfte der arme Kerl sich jetzt ziemlich quälen, aber ich werde ihn nicht bemitleiden. Es ist ein schrecklicher Fehler, wenn man anfängt, Mitleid mit dem Feind zu haben.
Ich muß lange warten, bis die Tür sich erneut öffnet und Christine eintritt. Wir beide verhalten uns vollkommen geräuschlos in unseren jeweiligen Verstecken, während sie sich hinsetzt und in aller Eile etwas aufschreibt, und das Papier dann in einer Schublade einschließt.
Ich hoffe, Sie hören und sehen sehr genau hin, junger Mann. Es würde mir sehr mißfallen, wenn Sie diese spezielle Vorstellung versäumten.
Da, sehen Sie?
Bringt der Klang Ihrer Stimme sie zu diesem Lächeln? Kann Ihre unsichtbare Anwesenheit Sie vom Stuhl aufstehen und sich mit sklavischer Freude umwenden lassen? Können Sie sie unter den Augen eines verblüfften Rivalen verschwinden lassen, auf diese Weise?
Oh, bitte! Untersuchen Sie den Spiegel nach Herzenslust, Monsieur! Sie werden sein Geheimnis nicht entdecken, dessen kann ich Sie versichern. Ja! Jetzt sind Sie ziemlich erschüttert, nicht wahr? Sie beginnen sich zu fragen, ob Sie es vielleicht wirklich mit einem Geist zu tun haben.
Wenn ich Sie wäre, würde ich jetzt nach Hause gehen und ein paar doppelte Cognacs trinken. Überlegen Sie, ob Sie nicht eine weite Reise machen sollten an einen Ort, wo Sie vergessen können, was Ihre leichtgläubigen Augen und Ihre schwachen menschlichen Sinne wahrgenommen haben.
Das ist die letzte Warnung, die ich Ihnen geben werde, Chagny!
Führen Sie mich nicht in Versuchung, die Bühne leerzurämen.
6. Kapitel
    Jenseits des Sees liegt eine verborgene, magische Welt, ein Tempel der Träume, den ich mit immer tieferem Erstaunen erforsche.
    Tag um Tag versinke ich ein wenig tiefer im Treibsand von Eriks Einfluß. Er zieht mich mühelos durch eine Folge von leuchtend bunten und ständig wechselnden Dimensionen, bis mir der Kopf wirbelt wie ein kreisendes Kaleidoskop.
    Mein Bewußtsein von der Welt ist jetzt völlig verändert, und ich betrachte mein altes Selbst mit heftiger Verachtung. Was für ein armes, unwissendes Geschöpf war ich, ehe ich Erik kannte, gefangen in meinen begrenzten Wahrnehmungen, ohne andere Gedanken im Kopf als die nächste Vorstellung, das neue Kleid.
    Jetzt sehe und höre und begreife ich auf eine Weise, die noch vor sechs Monaten über meinen Verstand gegangen wäre.
    Oft sitze ich auf einem Kissen zu seinen Füßen, den Rücken an seinen Sessel gelehnt, und bitte ihn, mir vorzulesen. Ich starre in das flackernde Feuer, während seine Stimme in meiner Vorstellungskraft Bilder malt. Manchmal liest er mir melancholische Reime von Omar Khayyám vor, Shakespeare, alte Legenden . . . Und nun, heute abend, die Geschichte der weißen Rose, die gegen den Willen Allahs eine Nachtigall liebte.
    Blume und Vogel, zwei Geschöpfe, die nicht dazu geschaffen sind, sich zu verbinden. Doch mit der Zeit überwand die Rose ihre Angst, und aus dieser einzigartigen verbotenen Vereinigung ging die rote Rose hervor, die Allah der Welt nie hatte zeigen wollen.
Der Gedanke an jene weiße Rose erfüllte mich mit so bitterer Scham, ließ mich meine unwürdige Feigheit hassen, mein körperliches Zurückschrecken, den kindischen, anhaltenden Widerwillen vor diesem Gesicht. Ich sehnte mich danach, mich umzudrehen und die Arme nach ihm auszustrecken. Und trotzdem blieb ich unfähig, diese innere Angst zu überwinden. Sie war ein Abgrund, den ich nicht zu überqueren wagte. Und so saß ich statt dessen da wie die kleine Maus in Aesops Fabel, die nicht wagt, den grausam gefesselten Löwen anzuschauen. Vom Schicksal angekettet und von seinem Stolz gelähmt, verhungerte er in schweigender Qual. Und weil mir der Mut einer Rose fehlte, konnte ich ihn nicht befreien.
    Als die Geschichte zu Ende war, saßen wir beide lange schweigend da. Endlich beugte er sich mit einem Seufzer vor.
    »Es ist sehr spät, meine Liebe«, sagte er. »Ich glaube, es ist Zeit, daß du zu Bett gehst.«
Als ich mein Schlafzimmer betrat, nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, und als ich mich umdrehte, erblickte ich auf der Steppdecke die größte Spinne, die ich je gesehen hatte. Sie war so groß wie meine Faust, und ihre schwarze Bösartigkeit ließ mich einen Schrei ausstoßen, der Erik an meine Tür brachte.
»Was ist los?« fragte er besorgt.
Unfähig, etwas zu

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