Kay Susan
ich auf der Maske Tränen glitzern sehen.
»Wo ist Sally?« fragte er plötzlich leise und angstvoll. »Wo ist sie?«
»Sie ist hier«, sagte ich zögernd. »Sie ist hier, Erik. Sie ist in Sicherheit.«
Er schloß die Augen.
»Laß sie heute abend nicht heraus«, bat er, seine Finger in meinen Ärmel krallend. »Versprich mir, daß du sie nicht herauslassen wirst . . . versprich es mir!«
Ich versprach es ihm. Es schien ihn zu beruhigen.
Als er aus dem Delirium ins Koma glitt, ließ ich ihn die halbe Meile zu meinem Haus in Ashraf tragen.
Ich konnte jetzt nichts mehr für ihn tun; ich konnte nur dafür sorgen, daß er in einem gewissen Komfort und an einem Ort starb, wo er einst das Lachen eines Kindes geteilt hatte.
Als wir eintrafen, gab ich strengen Befehl, Reza nichts von Eriks Anwesenheit zu sagen.
Doch noch vor Ende des Tages hatte jemand es verraten, und mir blieb nichts anderes übrig, als das Kind in seinem Rollstuhl in den totenstillen Raum zu schieben.
»Warum haben sie ihn vergiftet?« Reza sprach jetzt schleppend und war immer schwerer zu verstehen. Ich beugte mich nieder und legte eine Hand auf die abgemagerte Schulter des Kindes.
»Du mußt verstehen, daß er viele Feinde hat, Reza. Er ist zu mächtig geworden. Es gibt viele Leute, die ihn hassen und seinen Tod wünschen.«
»Kann er mich hören, wenn ich mit ihm spreche?«
»Ich glaube nicht, Reza. Ich glaube nicht, daß er jetzt etwas hören kann.«
»Aber vielleicht doch«, beharrte das Kind, »vielleicht doch. Vater, darf ich für eine Weile bei ihm bleiben?«
Ich hatte nicht das Herz, es ihm zu verweigern. Ich rollte den Stuhl neben das Bett, und als die Finger des Kindes blind über die Decke tasteten, beugte ich mich vor und führte seine Hand zu Eriks magerem Handgelenk.
»Ich möchte, daß Sie aufwachen, Erik«, sagte Reza schlicht. »Mein Musikmann ist kaputt, und niemand sonst kann ihn reparieren.« Die eingefallene Gestalt auf dem Bett reagierte nicht. Wieder und wieder und mit immer schrillerer Intensität äußerte Reza seine Bitte, bis ich es nicht länger dulden konnte. Als ich mit ruhiger Entschlossenheit auf den Rollstuhl zuging, sah ich, daß Eriks Finger auf der Decke sich kurz bewegten. Das Kind sah selbstredend nichts, und ich schob den Rollstuhl aus dem Zimmer, ohne es zu erwähnen, da ich keine falschen Hoffnungen wecken wollte.
Tatsächlich schlug Erik erst am folgenden Abend die Augen auf und sah mich mit ruhiger Klarheit an.
»Sie hätten mir sagen sollen, daß der Musikmann kaputt ist«, sagte er.
10. Kapitel
Einen Monat später, als wir zusammen auf der Veranda saßen und starken schwarzen Kaffee mit zerdrücktem Kardamom zu uns nahmen, traf ein Bote der Khanum mit einem Brief ein, in dem Eriks sofortige Rückkehr nach Teheran befohlen wurde.
Ich sah zu, wie Erik aufstand, kurz die Hände wie zum Gebet zusammenlegte und sie dann wieder öffnete. Auf seiner Handfläche lag eine schwere Börse.
»Ich habe diese Botschaft nie erhalten«, sagte er.
»Herr?« Der Mann nahm die Börse entgegen und starrte ihn mit offenkundiger Verwirrung an.
»Du hast die gefährliche Reise über das Elburz-Gebirge nicht überlebt. Ein Erdrutsch . . . ein Tiger . . . ein Türke . . . Es gibt ein halbes Dutzend Todesarten, die einen einsamen Boten ereilen können. Wähle aus, welche dir gefällt, und verschwinde. Der Inhalt dieser Börse wird dafür sorgen, daß du nie wieder Botschaften überbringen mußt. Geh jetzt und sprich mit niemandem darüber. Wenn du mich verrätst, dann verspreche ich dir, ich werde persönlich mit dem größten Vergnügen für deine Beseitigung sorgen!«
Als der Mann gegangen war, blickte ich seufzend auf.
»Sie wird einen neuen Boten schicken, Erik. So können Sie nur ein paar Wochen Aufschub gewinnen.«
»Zwei Monate sind alles, was ich brauche.«
»Um den Palast zu vollenden?« fragte ich erstaunt. »Das ist ganz sicher unmöglich.«
Er blickte mitleidig auf mich herab.
»Ich spreche nicht vom Palast«, sagte er sanft.
»Zwei Monate«, wiederholte ich. »Erik, Sie irren sich gewiß, er muß mehr Zeit haben . . . er muß!«
Er setzte sich neben mich, beugte sich auf seinem Stuhl vor und zwang mich, ihn anzusehen.
»Nadir, das Kind verdient nicht, all das zu erleiden, was ihm sehr bald bevorsteht.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte ich beklommen.
»Nichts. Ich bitte Sie nur, sich daran zu erinnern, daß der Tod uns in vielen Formen antreten kann. Einige sind hart und unendlich schmerzlich mitanzusehen.
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