Kay Susan
zusammenstießen, aber sobald sie mich erkannte, wußte sie, daß er tot war. Sie wich zurück bis an die Wand des Palastes und begann zu schreien. Mein Gott, diese Schreie werde ich nie vergessen . . . diese schreckliche, wahnsinnige Trauer! Sie erinnerte mich an so viele Dinge, von denen ich geglaubt hatte, ich hätte sie vergessen.« Plötzlich vergrub er sein maskiertes Gesicht in den Händen. »Sie schrie weiter«, schluchzte er, »sie hörte nicht auf zu schreien. Ich werde ihre Schreie nicht mehr los.«
Ich ließ ihn weinen, über alle Maßen erleichtert von seinem Gefühlsausbruch, dem ersten Anzeichen von Reue und Bedauern – und dafür, daß er vielleicht noch zu retten war.
»Ich kann nichts tun«, sagte er verzweifelt. »Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen und das Schreckliche ungeschehen machen. Es ist zu spät . . . zu spät.«
»Vielleicht zu spät für die Prinzessin, aber nicht für Sie«, sagte ich, von plötzlicher Hoffnung erfüllt. »Erik, haben Sie keine Religion, bei der Sie Zuflucht suchen könnten?«
»Ich wurde katholisch erzogen«, sagte er langsam. »Aber ich habe keine Messe mehr gehört, seit ich ein Kind war.«
»Es gibt Missionen hier in Persien«, sagte ich ernst, »Priester, die Ihnen die Beichte abnehmen und die Absolution erteilen könnten.«
Er hob den Kopf und sah mich an.
»Sie glauben nicht an die Lehren der katholischen Kirche.«
»Nein«, stimmte ich zu. »Aber ich habe großen Respekt vor ihrer Moral. Und ich würde Sie lieber als Abtrünnigen sehen denn als Atheisten und Mörder.«
Er stand auf und ging, um ein Fenster zu öffnen.
»Eine gesungene Messe ist etwas sehr Schönes«, sagte er leise. »Ich glaube, ich könnte heute nacht vielleicht anfangen, ein eigenes Requiem zu komponieren. Ich habe meine Musik zu lange vernachlässigt . . . viel zu lange.«
Ich sagte nichts mehr.
Kurz darauf, als ich in der Lage war, in meine eigenen Räume zu hinken, auf den Arm eines Dieners gestützt, war Erik schon zu sehr in seine Arbeit vertieft, um mein Fortgehen zu bemerken.
9. Kapitel
Unziemliche Feiern begleiteten das Hinscheiden von Mirza Taqui Khan. Diejenigen, die infolge seiner durchgreifenden Reformen Unannehmlichkeiten und eine Verringerung ihrer Einkünfte erlitten hatten, waren die ersten, die ihr Glas auf ihn erhoben.
Als die gramgebeugte Prinzessin an den Hof zurückgebracht wurde, um mit dem Sohn des neuen Großwesirs vermählt zu werden, kam Erik in schrecklicher Wut zu mir.
»Ist das auch eine eurer sinnreichen und entzückenden Sitten?« fragte er zornig. »Hat denn noch nie jemand an diesem gottverlassenen Hof etwas von einer geziemenden Trauerzeit gehört?«
Hilflos hob ich die Schultern.
»Die Schwester des Schahs ist sein persönlicher Besitz, über den er verfügen kann, wie es ihm beliebt.«
Erik sah mich ungläubig an.
»Wollen Sie damit sagen, daß das Mädchen übertragbar ist wie der Siegelring des Großwesirs . . . daß derjenige, der den einen nimmt, auch die andere übernehmen muß?«
Ich seufzte. »Das ist in solchen Fällen oft der Brauch.«
»Oh, ich verstehe«, sagte er verächtlich, »legalisierte Vergewaltigung ist hier üblich, nicht wahr? Ein Mann kann sich mit Gewalt eine Frau nehmen und sagen, das sei Brauch? Mein Gott, was für ein Land!«
Und er wandte sich mit so heftigem Ekel ab, daß ich mich meiner eigenen Landsleute ein wenig schämte.
»Sollen Sie bei den Hochzeitsfeierlichkeiten eine Vorstellung geben?« fragte ich schließlich, um ihn von seinen düsteren Gedanken abzulenken.
Er lachte kurz auf.
»Ja. Ich soll bei ihrem kleinen Fest das Skelett geben. Der Schah hat mich bereits aufgefordert, eine spektakuläre Vorführung vorzubereiten. Ich denke, irgendein Trick mit einem Sarg wäre recht angemessen, nicht wahr? Ich werde darüber nachdenken müssen.«
Und er wandte sich wieder dem Fenster zu, schon tief in Gedanken versunken.
Auch wenn ich hundert Jahre alt werde, nie wieder werde ich einen verblüffenderen Anblick erleben als das staunenerregende Kunststück, das Erik mit dem Sarg vollführte.
Es gab keine Bühne, keinen sichtbaren Ort, an dem man einen Mechanismus hätte verstecken können, der die geheimnisvolle Levitation steuerte. Als der Sarkophag sich zu öffnen begann, senkte sich gespannte, erwartungsvolle Stille über das höfische Publikum.
Erik war gekleidet wie ein Gott und trug eine Maske, die eigens für diesen Anlaß aus gehämmertem Gold gearbeitet worden war. Er schnippte einmal mit den Fingern, und der
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