Kay Susan
muß noch Anweisungen geben . . . , muß mit eigenen Augen zum letzten Mal sehen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie werden unterwegs sterben, lange bevor wir den Palast erreichen. Warum muten Sie sich selbst so viel mehr unnötige Schmerzen zu?«
»Der Schmerz ist nichts verglichen mit dem Bedauern . . . der Enttäuschung! Nadir . . . «, seine Stimme sank zu einem erschöpften Flüstern herab, »bitte, bestellen Sie ein takhterewan . . . heimlich . . . und bringen Sie mich noch heute nacht nach Mazenderan zurück.«
Wider besseres Wissen tat ich, was er verlangte.
Die Außenmauern des Palastes von Mazenderan waren nahezu vollendet, und das, was schon stand, reichte aus, um eine glorreiche Illusion der Vergangenheit zu schaffen.
Der Säulenbau mit seinem doppelten Portikus auf drei Seiten und seinen hoch aufsteigenden, sich elegant verjüngenden Schäften erinnerte an die Glanzzeiten des persischen Reiches unter Darius und Xerxes. Im Inneren des Palastes wollte Erik, wie ich wußte, unter Ausnutzung der Wandlungsfähigkeit unserer hochwertigen Ziegel und seines eigenen, einzigartigen technischen Erfindungsreichtums eine Ausstattung schaffen, die ganz der Zukunft angehörte. Eifersüchtig hatte er bisher seine Geheimnisse gehütet und den Arbeitern in jedem Baustadium nur so viel verraten, wie sie unbedingt wissen mußten. Doch statt diese Geheimnisse mit ins Grab zu nehmen, vertraute er mir zu Beginn unserer Mission Dokumente an, die im Falle seines Todes die Vollendung des Baus sichern sollten.
Als wir den Palast erreicht hatten, wurde Erik auf einer Bahre in das hallende Gebäude getragen; er stützte sich auf einen Ellbogen und schaute sich ungläubig um.
»Geben Sie mir die Pläne«, brüllte er plötzlich mit vor Wut donnernder Stimme. »Und holen Sie mir auf der Stelle den Baumeister her!«
Er war aufgestanden, als der zitternde Mann erschien und vor ihm niederkniete.
»Du hast meine Anweisungen nicht befolgt. Warum?«
»Verzeihen Sie mir, Meister«, stammelte der Mann. »Ich habe mein Bestes getan, aber die Anweisungen waren so . . . so kompliziert. Ich habe sie nicht verstanden.«
Erik riß mir die Reitgerte aus der Hand und peitschte mit solcher Wucht die Schultern des Mannes, daß dieser rückwärts taumelte.
»Wenn du das nächste Mal etwas nicht verstehst«, sagte er mit angsterregender Stimme, »dann frage, verdammt! Frage!«
»Sie waren nicht hier, Meister«, schluchzte der Mann erschrocken. »Ich konnte Sie nicht fragen. Sie waren länger als drei Wochen nicht hier.«
Erik ließ die Peitsche zu Boden fallen.
»Ja«, sagte er schwach. »Du hast recht . . . , so kann man nicht bauen. Steh jetzt auf. Bist du verletzt?«
»Nein, Herr«, sagte der Baumeister verwundert.
»Du hast großes Glück«, sagte Erik mit einem Seufzer, »daß ich nicht genug Kraft hatte, dir den Hals zu brechen. Komm jetzt in mein Zelt, ich werde die Pläne mit dir durchgehen, dir meine letzten Anweisungen geben. Du wirst mir sehr genau zuhören, und du wirst keine Angst haben, mir zu sagen, wenn du etwas nicht verstehst. Ich schwöre dir, solange du mir gegenüber aufrichtig bist, werde ich keinen Zorn mehr zeigen.«
Ich war bei dem folgenden Gespräch zugegen, doch die technischen Einzelheiten von Drehpunkten und Falltüren und Echoeffekten überstiegen mein Fassungsvermögen. Drei Stunden lang beugte sich Erik über den kleinen Klapptisch und erklärte mit unendlicher Geduld. Gelegentlich machte er eine zusätzliche Skizze, um einen bestimmten Punkt noch eingehender zu erläutern.
Die Zeiger meiner Uhr standen auf Mitternacht, als der Baumeister sagte, er habe alles verstanden.
»Bist du sicher?« beharrte Erik. »Bist du wirklich sicher?«
»Ja, Herr.«
Gerade, als ich vom Zelteingang zurückkam, brach er zusammen.
Im Morgengrauen delirierte er, durchwanderte die düsteren Alpträume der Vergangenheit.
»Es war ein Unfall«, flüsterte er, »es war ein Unfall. Ich wollte nicht, daß sie stürzte. Ich wollte nicht, daß Sie sähen . . . oh, Vater . . . , warum haben Sie mich das tun lassen, warum?«
Als ich mich über ihn beugte, um eine Wasserflasche an seine Lippen zu setzen, klammerte er sich in schrecklicher Panik an meinen Arm.
»Gebt mir die Maske zurück!« schluchzte er. »Gebt mir die Maske zurück und laßt mich nach Hause. Ich hasse diesen Ort. Ich hasse diesen Käfig . . . diesen schmutzigen Käfig!«
Mehrere Minuten rang er mit mir wie von Sinnen, und als er erschöpft auf sein Lager zurücksank, konnte
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