Kayankaya 4 - Kismet
fünfundneunzig der >Genscher-Sunrise<.
Als ich das Restaurant betrat, wandten etwa fünfzehn Männer verstummend die Köpfe in meine Richtung. Sie saßen und standen mehr oder weniger vereinzelt an Tischen und Theke, bildeten aber eine gemeinsame, den ganzen Saal einnehmende Runde. Die meisten waren um die Fünfzig und machten den Eindruck, als wären sie das schon immer gewesen, hätten schon immer in irgendwelchen Kneipen ausgeharrt und wären nur hin und wieder mal weggegangen, um sich günstige Anzüge und Haarschnitte zu besorgen. Die Ausnahme waren zwei Burschen Mitte Zwanzig, die in der hintersten und dunkelsten Ecke hockten, rasierte Schädel und bunte Sportanzüge trugen. Alle hatten Biergläser vor sich, und alle blieben, während ich zur Theke ging und dem Wirt »guten Abend« wünschte, stumm. Vielleicht war die Schwellung in meinem Gesicht doch beeindruckender, als sie mir zu Hause im Spiegel vorgekommen war. Ich hoffte, die Leute würden sich dazu entschließen, mich als Pechvogel und nicht als Schläger zu sehen.
»Abend. Was derf’s sein?« Der Wirt, ein massiger Kerl mit rundem, gemütlichem Gesicht, musterte mich ungeniert, aber freundlich.
»Ein Bier, bitte.«
Er drehte sich zum Zapfhahn, und ich sah mich mit argloser Miene im Saal um, als bemerkte ich weder die Stille noch die auf mich gerichteten Blicke.
Zur Dekoration hingen ein paar verstaubte Fischernetze und zwei verblichene Dubrovnik-Plakate an den Wänden. Ansonsten: kahle Holztische, ein beiger, fleckiger Linoleumboden, eine unter Schmutzschichten nur schwach leuchtende Musikbox und hellgrüne Stofflampenschirme, denen durch zu wattstarke Glühbirnen ein unregelmäßiges Muster aus kleinen, schwarzgeränderten Löchern eingebrannt war. Relativ neu und gepflegt wirkte allein ein großes Foto im Wechselrahmen, das hinter dem Tresen auf dem obersten Brett des Schnapsregals thronte. Ein grauhaariger Mann in weißer Admiralsuniform mit reichlich goldenen Knöpfen und bunten Streifen küßte einen anderen Mann, von dem nur der Hinterkopf zu sehen war, auf die Wange.
Der Wirt brachte mir das Bier. »Zum Wohl.«
Nachdem ich zwei Zigaretten geraucht, ein weiteres Bier bestellt und lange genug eisern unbedarft vor mich hin geguckt hatte, setzten die Gespräche eins nach dem anderen wieder ein. Fünf Minuten später erfüllte lautes Stimmengewirr den Saal. Manche unterhielten sich auf kroatisch, manche auf deutsch, die meisten auf hessisch. Es ging um Preise, Wetter, Sport, Frauen. Einer warf Münzen in die Musikbox, und bald übertönte Bonnie Tyler mit »Total Eclipse of the Heart« alle.
Ich trank mein zweites Bier aus und bestellte ein drittes. Als der Wirt mir das Glas hinschob, bedeutete ich ihm, näher zu kommen. Er stützte seine kugeligen Ellbogen auf den Tresen und hielt mir sein Ohr hin.
»Entschuldigen Sie die direkte Frage…«
Er nickte und zwinkerte mir aufmunternd zu. Wahrscheinlich dachte er, nach meiner Dreinschauen-wie-ein-Schaf-Nummer, ich wollte mich nach dem Weg zur Toilette oder etwas ähnlich Heiklem erkundigen.
»… Haben Sie schon mal von der Armee der Vernunft gehört?«
Seine Augen schienen für einen Moment, ohne sich zu schließen, mit dem Gucken aufzuhören, so wie Hände mitten im Gestikulieren plötzlich innehalten können. Dann wandte er sich gemächlich wie von einem lange genug genossenen Gespräch zweier Gäste über den Sinn des Lebens ab, ging zurück zum Zapfhahn und fuhr fort, für Getränke zu sorgen. Sah er in meine Richtung, war ich ein Möbel. Wäre ich ohne zu zahlen gegangen, hätte er vermutlich nicht mal aufgeblickt.
Ich stand eine Weile rum und überlegte. Die ersten Gäste begannen, Essen zu bestellen, und ich schaute zu, wie der Wirt sich in eine offene Durchreiche neben dem Schnapsregal lehnte, die Bestellungen weitergab und Teller entgegennahm. Soviel ich mitbekam, arbeiteten zwei Männer in der Küche. Der Koch und ein junger Gehilfe. Ich zog einen Stift aus der Tasche und schrieb auf einen Bierdeckel: Zwei Mitglieder der Armee haben Donnerstag hier angerufen. Ich möchte wissen, wer sie waren. Vorher gehe ich nicht.
Als der Wirt sich das nächste Mal mit Tellern beladen an mir vorbeischieben wollte, trat ich ihm in den Weg und steckte ihm den Bierdeckel in die Hemdtasche.
»Ich warte fünf Minuten. Wenn Sie dann immer noch nicht mit mir gesprochen haben, wird das hier heute abend ein lausiges Geschäft.«
Er ging weiter, ohne zu reagieren. Doch kurz darauf erschien der
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