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Kayankaya 4 - Kismet

Kayankaya 4 - Kismet

Titel: Kayankaya 4 - Kismet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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wirkten nebeneinander wie die Monroe-Schwestern. Obwohl zwischen den Stadtgrenzen kaum fünf Kilometer lagen, war ich bisher höchstens vier- oder fünfmal dort gewesen, und nach dem ersten Besuch hatte es immer äußerst zwingender Anlässe bedurft. Auf einer hundert Meter breiten, von grauer Bürohausarchitektur gesäumten Straße fuhr man, wenn man es nicht besser wußte, so lange in die Stadt hinein, bis man wieder draußen war, und freute sich, daß von Zeit zu Zeit auf den Reklameplakaten links und rechts ein paar Gesichter auftauchten. Keine Ahnung, was der Offenbacher den ganzen Tag machte, seinen flugzeuglandebahntauglichen Ein- und Ausfall-Boulevard mied er jedenfalls strikt. Die einzigen Zeichen menschlichen Lebens jenseits des Achtstundentages waren hin und wieder vor die Bürofassaden gespuckte Imbißbuden und aus dunklen Winkeln aufblinkende Schriftzüge, die auf Fitnesscenter und Spielsalons hinwiesen. So mußte eine Hauptstraße nach einer tödlichen Epidemie aussehen.
    Kannte man sich ein wenig aus, fuhr man irgendwann rechts ab ins Zentrum und kam auf einen etwa fußballfeldgroßen Platz, dessen eindrücklichstes Gebäude dem Bedürfnis entsprungen zu sein schien, dem Zweiter-Weltkrieg-Bunkerbau eine zivile Chance zu geben. Ein riesiger, verschachtelter, unverputzter Haufen Beton, der sich wie ein graues Ungeheuer in die Runde aus silberfarbenen Kaufhäusern und bunten Ladengalerien drängte. Obwohl Schilder versprachen, das Ungeheuer enthalte Pizzeria, Eiscafe und Supermarkt, und trotz des Bemühens, mit Außentreppen, luftigen Durchgängen und Terrassen für so was wie einladende Atmosphäre zu sorgen, wurde man das Gefühl nicht los, beim Betreten sofort festgenommen, erschossen und zu irgendwas verarbeitet zu werden. Das hieß: Ich wurde das Gefühl nicht los. Der Offenbacher, jedenfalls der, der gerne Drogen nahm, dumm rumhing und seine Umwelt mit Bum-Bum-Musik aus einem tragbaren Kassettenrekorder versorgte, liebte es, sich vor und in dem Gebäude aufzuhalten. Auch der Offenbacher, der es im Vollsuff vorzog, gegen die nächste Wand zu pissen und zu kotzen, anstatt sich eine Toilette zu suchen, mochte das Gebäude. Und wer es natürlich ganz besonders schätzte, war der Offenbacher, der gerade seinen Hauptschulabschluß vergeigt hatte und sich nun darauf stürzte, irgendwann auch fester Bestandteil dieser großen weiten Welt des Rumhängens und Kotzens zu werden.
    Das Problem mit der Stadt war, daß es für Ortsfremde praktisch keine andere Möglichkeit gab, in sie hineinzufinden, als über den Epidemie-Boulevard und am Ungeheuer vorbei. Hatte man das geschafft, präsentierte sich Offenbach nicht viel häßlicher als Darmstadt oder Hanau. Die übliche Fußgängerzone, die üblichen Sechziger-Jahre-Kartons, die üblichen hingeklotzten öffentlichen Baustadtratverbrechen. Aber der erste Eindruck blieb haften und bestimmte alles weitere. Es war mir passiert, daß ich in Offenbach vor einer ganz normalen Kaufhalle stand und dachte: Du lieber Himmel, das muß die häßlichste Kaufhalle der Welt sein.
    Ich fuhr also am Ungeheuer vorbei, ließ den Platz hinter mir, hielt am Straßenrand und fragte durchs Fenster einen jungen Mann, der mir einheimisch aussah, nach der Straße, in der sich der >Adria-Grill< befand. Er zupfte sich eine Weile am schütteren Schnurrbart und zog seine fliehende Stirn in Falten, bis er zu erklären begann. Er nahm sich Zeit und schaffte es, aus zweimal-rechts-einmal-links eine komplizierte Sache zu machen, aber schließlich hatten wir es. Ich bedankte mich und fuhr den beschriebenen Weg.
    Zehn Minuten später parkte ich den Wagen in einer ruhigen Seitenstraße. Wohnhäuser, Kneipen, eine Autowerkstatt, ein Homosexshop. Ich lief ein Stück, bis ich vor der Glastür mit dem Aufdruck >Adria-Grill< stand. Tür und Fenster waren von innen mit gehäkelten Decken verhängt. In einem Glaskasten neben dem Eingang hing die Speisekarte. Die typische, soweit mir bekannt war, vorwiegend in Deutschland praktizierte Jugoslawische-und-internationale-Spezialitäten-Küche: fünfzehn Fleischgerichte mit Fritten, fünf Salate, zwei Nachtische, fünfzehn Schnapssorten. Daß diese Küche inzwischen nur noch selten jugoslawisch hieß, sondern wie einer der Landstriche, die sich in den letzten Jahren mit tatkräftiger Unterstützung des deutschen Außenministeriums von Jugoslawien verabschiedet hatten, deutete das mit kleinen kroatischen und deutschen Fahnen umklebte Cocktailangebot an: für fünf

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