Kayankaya 4 - Kismet
das, worin wir uns wenig später befanden, tatsächlich ein Raum für Besucher sein sollte, dann schien man hier zu meinen, Besucher sei einfach nur ein anderes Wort für Räuberbande. Und zwar eine, die den Bogen raushaben mußte, mit angerosteten Metallstühlen, aus denen die Schaumgummipolsterung platzte, und Tischen, die ganz offensichtlich in erster Linie zum Zigarettenausdrücken, Messerwerfen und mit dickem Filzstift »Fotzeficken«-Draufschreiben dienten, irgendwo auf der Welt eine Mark zu machen. Sämtliche Möbel - neben Tischen und Stühlen noch eine Stehlampe ohne Birne und ein Regal ohne Inhalt - waren mit starken Eisenwinkeln an den Boden oder an die Wände geschraubt. Es gab nichts, was man irgendwie hätte bewegen können. Als ich versuchte wegen des Desinfektionsmittelgestanks ein Fenster zu öffnen, winkte Leila ab.
»Keine Versuchung.«
»Keine Versuchung?«
»Sagt Heimleiter.«
»Was für eine Versuchung? Frische Luft schnappen?« Leila zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Fenster klauen?«
»Fenster klauen«, wiederholte ich und schaute auf die rissigen, abgestoßenen, eitergelb gestrichenen Plastikrahmen.
»Na schön, laß uns schnell machen.« Ich sah zu Leila. Sie lehnte ein paar Meter von mir entfernt mit verschränkten Armen an der Wand und schaute inzwischen wieder so ungerührt drein wie vor Gregors Auftritt. Dabei schien sie so wenig zu wissen wie ich, was wir hier eigentlich wollten. Ich hatte sie aus dem Sekretariat gelotst, um alleine zurückkehren und mir Frau Schmidtbauer vornehmen zu können, und sie war vermutlich nur mitgekommen, um sicherzugehen, daß ich nicht doch noch die Polizei rief. Durch Frau Schmidtbauers Eifersuchtsanfall glaubte ich mir über Leilas Rolle in der Angelegenheit ausreichend im klaren zu sein. Ein kurzes vertrauenspendendes Gespräch, dann würde sie hoffentlich endlich verschwinden.
»Deine Mutter arbeitet also für Ahrens, darum soll ich die Polizei nicht rufen, richtig?«
Sie nickte.
»Dabei will sie gar nicht für Ahrens arbeiten, aber er erpreßt sie dazu, so wie er auch andere hier im Heim dazu erpreßt.«
Wieder nickte sie.
»Okay, dann gibt es kein Problem zwischen uns. Ich hatte nie vor, die Polizei zu rufen, es sollte nur eine Drohung sein.«
Ich wartete auf ein Zeichen, daß sie verstand und daß wir uns nun trennen könnten. Statt dessen schob sie die Hände in die Hosentaschen und begann, langsam durch den Raum zu spazieren. Dabei schaute sie immer mal wieder kurz und abwägend zu mir her, als hätte ich ihr ein nicht ganz astreines Angebot gemacht. Tatsächlich fiel mir nun endgültig auf, wie wenig man sie noch als Kind bezeichnen konnte. Im Sekretariat hatte ich nur ihre Augenringe, die Blutkruste, das halblange, fettglänzende Haargestrüpp und die freche Klappe wahrgenommen. Jetzt guckte ich sie mir zum ersten Mal richtig an. Ihr Gesicht erinnerte an einen dieser kleinen Bistrotische, wenn man zu zweit daran zu Mittag aß. Augen, Nase und Mund schienen sich gegenseitig über den Rand zu drängen. Dabei war das Gesicht gar nicht mal besonders schmal, aber alles andere so besonders groß und ausgeprägt wie eine leicht überdimensionierte Beispielfolge für klassische Schönheitsmerkmale. Dunkle, riesige, fast Basedowsche Augen, eine leicht gekrümmte, kräftige Nase und Lippen wie rosa Luftkissen. Dazu bewegte sie sich wie jene langbeinigen Mädchen, bei denen man nie genau weiß, ob sie ahnen, was sie schon mit einem kurzen, unbedeutenden Gang durchs Zimmer bei einem Mann auslösen können.
Alles in allem wurde mir mit einem Mal die Möglichkeit deutlich, daß ich nicht der erste alte Knacker war, der sie aus einer heiklen Situation befreite oder ihr sonst irgendeinen Gefallen tat, und vielleicht hatten andere anschließend in einem ebenso abgelegenen Zimmer auf Dankbarkeit bestanden.
»He, Leila, was ist los?« fuhr ich sie übertrieben polterig an. »Hör auf, hier rumzurennen! Wir haben alles beredet. Geh auf dein Zimmer und warte, bis deine Mutter zurückkommt. Ich versprech dir, ab nächste Woche muß sie nicht mehr für Ahrens arbeiten.«
Sie blieb stehen. »Privatdetektiv?«
»Ich? Ja, weißt du doch.«
»Wieviel?«
»Was wieviel?«
»Wieviel du kostest?«
»Wieviel ich koste…?« Was sollte das nun wieder? Man konnte nicht sagen, daß Leila kein Talent dafür gehabt hätte, ihre Anwesenheit in die Länge zu ziehen.
»Ja. Wieviel am Tag. Du sollst meine Mutter suchen. Ich kann bezahlen.«
Während ich noch
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