Kayankaya 4 - Kismet
Augen da so lange und unbeirrt rein, daß ich für einen Moment, vermutlich vom Wodka getrieben, davon überzeugt war, sie guckte mich an. Nur mich. Und ich guckte zurück.
»Gefallen, was?«
»… Hm?«
»Meine Mutter - gefallen?«
»Ja, ahm, aber ihr«, ich stotterte nicht gerade, aber Zunge und Lippen hatten schon mal geschmeidiger funktioniert, »gefällt’s da anscheinend nicht so sehr…«
»Anschein…?«
»Es sah am Anfang so aus, als ginge ihr irgendwas auf die Nerven.«
»Ja, weiß…« Leila winkte ab. »… Sie wollte eine kleine, leise Fest. Aber mein Vater macht eine große Überraschung. Viele Leute da, meine Mutter mag die nicht. Da siehst du: die alte Kuh«, sie deutete auf eine etwa Zwanzigjährige, die über irgendwas pikiert den Kopf schüttelte, »sie haßt meine Mutter. Aber mein Vater: alle einladen. Ist immer so.«
Und da kam der, von dem sie sprach, auch schon ins Bild. Ganz sachlich mußte man feststellen: Er sah blendend aus. Große weiche, braune Augen, ausgeprägtes Kinn, gerade Nase und so eine halblange, luftig lässige, wohl auch bei Orkan perfekt fallende Chansonsängerfrisur. Die etwa fünfjährige Leila an der Hand schob er sich von Gast zu Gast, begrüßte und küßte ebenfalls und war anscheinend ein Lustiger. Jedenfalls lachten die Leute über ihn, und wenn sie’s nicht taten, lachte doch immerhin er. Seine Bemerkungen oder Scherze begleitete er mit weit ausholenden Gesten und deutlichem Mienenspiel. Wie überhaupt alles von ihm mit Ausführlichkeit betrieben wurde. Umarmte er jemand, schien er dafür Anlauf zu nehmen, beim Küssen knautschte er die Lippen vor, als gelte ein Kuß als um so inniger, je unübersehbarer, und wenn er Leila hochhob, damit sie auch geküßt wurde, stemmte und schwenkte er sie wie einen Pokal. Die damit einhergehende und, wie ich fand, nicht ganz unkalkulierte Tapsigkeit, war vermutlich etwas, das ein Großteil der Damenwelt als >süß< empfand.
»Bin ich«, tönte es ungeduldig vom Boden.
»Hab ich doch sofort erkannt! Und die ganze Zeit überlegt, ob ich schon mal so ein hübsches kleines Mädchen gesehen habe.« Bloß keine weitere Bauchtänzerin-Entäuschung.
»Hmhm«, eine selbstverständliche Überlegung. »Mit mein Vater. Mein Vater ist sehr witzig. Siehst du?«
»Ja, das sieht man wirklich gut.«
»Aber…« Sie hielt inne, und dann kippte ihre Stimme in einem plötzlichen Anflug von Verzweiflung: ».. .Wie ich gesagt: auch großes Maul. Darum Gefängnis. Weil Soldaten sehen nicht witzig, nur…«
»Nur das große Maul, verstehe.«
»Aber wenn meine Mutter macht eine gute Arbeit bei Ahrens, mein Vater kommt raus.«
»Hat deine Mutter gesagt?«
Leila nickte. »… Darum auch: Wenn meine Mutter weg ist…«
»Bleibt dein Vater im Gefängnis.«
»Hm.«
Sie schaute besorgt zu mir herüber. Automatisch versprach ich, was man so verspricht: »Du kannst dich drauf verlassen, ich finde deine Mutter.«
Ihr Blick ging zum Boden. »Weißt du, manchmal sie… also ist nicht böse, aber auch gar nicht witzig, so wie bei Hochzeit.«
»Du meinst, sie könnte Ahrens frech kommen?«
»Frech?«
»Ihm sagen, er sei ‘ne alte Fotze.«
».. .Ja, so.«
Es entstand eine Pause, und ich hatte den Eindruck, Leila wartete auf weitere Detektiv-schmeißt-den-Laden-schon-Sätze. Aber aus irgendeinem Grund mochte ich die nicht sagen. Vielleicht aus Respekt, vielleicht aus Aberglauben. Schließlich guckten wir zurück zum Bildschirm.
Inzwischen stand man beim Aperitif. Der Kameramann ging von Grüppchen zu Grüppchen, filmte jeden einzelnen wie fürs Archiv, und viele meinten, vor der Linse irgendwelche Kaspereien veranstalten zu müssen. Ich fragte mich, ob sich Leila mehr Sorgen um ihre Mutter oder um ihren Vater machte. Seit er ins Bild gekommen war, lag so ein Schmelz in ihren Augen. Und wenn die Mutter sich einfach nur davongemacht hatte? Schluß mit Kind und Einradfahrer und neues Leben, neues Glück?
Ich steckte mir eine Zigarette an. Irgendwann kam Leila zum Sofa, setzte sich neben mich und nahm sich ebenfalls eine. Im Film wurde der erste Hammel vom Spieß gelöst, und die Leute begannen sich voller Vorfreude um die gedeckten Tische zu versammeln - aber bei uns war die Luft raus. Leila guckte gedankenverloren ihrem Rauch nach, und ich wollte sowieso nur die Mutter sehen, und die war jetzt anscheinend auch bei der Hochzeit fürs erste verschwunden. Doch anstatt den Kasten abzuschalten und damit möglicherweise Anlaß für ein weiteres
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