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Kayankaya 4 - Kismet

Kayankaya 4 - Kismet

Titel: Kayankaya 4 - Kismet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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Kerzenständern aus der Schule nach Hause kamen. Oder kriegte ich hier irgendwas nicht mit?
    »… Ich jedenfalls habe seit heute morgen nichts in den Magen bekommen, und, soweit ich weiß, du seit heute mittag auch nichts. Und nach so einem Tag…« Ich nickte ihr zu, tat uns auf und wünschte, ungeachtet ihres eindringlich vorgetragenen Desinteresses, »Mahlzeit«.
    Vielleicht hatte sie einfach keinen Hunger, oder sie mochte keinen Eintopf, oder Mädchen in ihrem Alter ernährten sich von um-Gottes-willen-nicht-zu-großen Salatblättern - jedenfalls entwickelte sich das Abendessen zu einer einseitigen und dadurch recht beklemmenden Angelegenheit.
    »Keinen Appetit?« fragte ich, nachdem ich die ersten Löffel in mich hineingeschaufelt hatte.
    Leila saß zurückgelehnt, die aus den pantoffelartigen Schuhen geschlüpften, nackten Füße gegen den Sofatisch gestützt, und zwirbelte ein grünes Stengelchen zwischen den Fingern. Ohne aufzusehen, murmelte sie: »Appetit?«
    »Hunger, Lust zu essen.«
    »Riech wie Heimküche.«
    »Na, da habt ihr aber eine tolle Heimküche«, hörte ich mich wie einen der Erwachsenen sagen, auf die ich an verkaterten Vormittagen manchmal im Kinderfernsehprogramm traf und bei denen ich mich jedesmal fragte, ob es Menschen über drei gab, die diesen leutseligen Dusselton nicht als Nepp empfanden.
    Mit mitleidig hochgezogenen Augenbrauen warf mir Leila einen kurzen Seitenblick zu, sah dann zurück auf das grüne Stengelchen und atmete hörbar aus.
    »Okay, dann sag mir, was du lieber riechst. Schließlich mußt du die nächsten Tage irgendwas essen.«
    »Warum muß?«
    Warum muß …? Ich hielt mit dem Löffel auf halber Strecke zwischen Teller und Mund inne. Trotzig, frech, unverschämt - alles gut und schön, aber für so was war in meinem Leben ganz sicher nicht mal eine Minute vorgesehen.
    »Weil man essen muß, wenn man nicht verhungern will«, knurrte ich und schob mir den Löffel in den Mund.
    »Ich gefalle.«
    »Du gefällst? Ja, du gefällst. Du bist wunderschön«, erklärte ich und hoffte sie damit meine verpatzte Reaktion auf ihren Bauchtänzerinnenauftritt vergessen zu lassen. »Aber wenn du so weitermachst, bist du bald nur noch ein wunderschönes Gerippe.«
    »Dir gefällt besser fette Schlampe, hm?«
    »Fette Schlampe … Sag mal, wer gibt euch in diesem Heim da eigentlich Deutschunterricht?«
    »Mir selber.«
    »Dir selber? Mit was? Öffentlichen Toilettenwänden?«
    »Porno.«
    »Bitte?«
    »Jungs aus Heim haben Filme und ein Buch. Ich hab auch ein Buch: Die Spermajägerinnen.«
    »So…« Ich bemühte mich um einen möglichst sachlichen Gesichtsausdruck. Dabei registrierte ich, wie meine Hand wie von allein mit dem Löffel leicht manisch durch den Eintopf kreiste. »…Das ist aber ein ziemlich spezielles Vokabular. Wie klappt das, wenn du Brötchen kaufen willst oder so was?«
    Ganz langsam wandte sie den Kopf, betrachtete mich mit hängenden Lidern, bis sie plötzlich anfing zu lachen. Laut, herzlich, einnehmend. Keine Frage, ich kriegte hier irgendwas nicht mit.
    Als sie zu Ende gelacht hatte, fragte sie: »Wir gucken die Filme?«
    »Ah, was für Filme?«
    »Filme von meine Mutter natürlich, Blödi.« Blödi. Kam das auch aus dem Pornobuch? Fick mich, Blödi?
    Froh über den Themawechsel, deutete ich mit dem Löffel durchs Zimmer. »Da vorne ist der Videorekorder.«
    Ob ich, der auf der Schule in Fremdsprachen regelmäßig Witznoten wie Fünf plus abbekommen hatte, mit Pornos mehr bei der Sache gewesen wäre? Vielleicht säße ich heute bei der uno.
    Bepackt bis übers Kinn, kam Leila aus dem Schlafzimmer zurück, balancierte etwa fünfzehn Kassetten an mir vorbei und ließ sich vorm Rekorder nieder.
    »He, ich will wissen, wie sie aussieht, ich will keine Doktorarbeit über sie schreiben.«
    »Doktorarbeit?«
    Tja, Spermajägerinnen… »Wenn wir die ganzen Kassetten angucken, sitzen wir bis morgen abend hier.«
    »Ich mach nur paar schöne, okay?«
    »Mach welche, auf denen ich deine Mutter gut sehe. Was ist das alles?«
    »Geburtstag, Hochzeit, Ferien, mein erster Tag in der Schule, und auch nur so: mein Oma, mein Opa, meine Mutter im Garten, mein Vater fährt Fahrrad, aber nur mit ein Rad. Oder auch nur Wetter. Wir gehen oft weg aus der Stadt. Da ist auch die Hochzeit. Ich fang an mit Hochzeit, okay?«
    »Warum mit der Hochzeit?«
    »Weil meine Mutter ist viel dabei. Und auch weil ich’s mag.«
    »Wie heißt deine Mutter eigentlich?«
    »Stascha.«
     
    Die ersten

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