Kayankaya 4 - Kismet
zehn Minuten flimmerten fast nur Autos und gedeckte Tische über den Bildschirm. Jeder Gast wurde bei seiner Ankunft gefilmt, und jeder Gast saß dabei im Auto, und es gab eine Menge Gäste. Und eine Menge gedeckter Tische. Es folgten ausführliche Panoramaaufnahmen: Natursteinhütten, Olivenbäume, wilde Wiesen; anschließend der Bauernhof, in dem die Hochzeit stattfand, samt Innenhof und einem Gluthaufen, über dem drei in die Kamera winkende und sich mit Flaschen zuprostende Männer fünf Hammel am Spieß drehten. Leila saß vorgebeugt und hoch konzentriert am Boden, hielt die Fernbedienung und damit die Möglichkeit vorzuspulen fest in den Händen und versorgte mich mit Namen und Hintergrundinformationen. Bei manchen Gesichtern lachte sie auf, bei anderen kniff sie die Lippen zusammen, und bei zwei hin und wieder durchs Bild springenden jungen Hunden machte sie schmatzende Geräusche, als wollte sie sie heranlocken.
»Da guck!« Sie deutete auf einen kleinen Kirschbaum. »Ist gebaut für mein Geburtstag, echter Geburtstag. Jetzt der Baum ist so hoch wie ein Haus.«
»Hmhm.« Natürlich war es berührend, zu sehen, wie Leila mit Haltung und Blicken quasi in die Bilder hineinkroch. Aber der Wodka begann zu wirken, und ein Kirschbaum war ein Kirschbaum, und der Kameramann hatte entweder auch schon jede Menge intus oder fühlte sich zu cineastisch Höherem berufen. Jedenfalls dauerte selbst die Kirschbaumeihstellung die phantastische Länge einer halben Zigarette.
»Wer ist der Kameramann?«
»Ein Freund von mein Vater. Aber ist nicht so gut. Normal mein Vater macht die Kamera. War erster bei uns, der so eine Kamera hat. Er macht viel. Auch Foto und malen und Lampen bauen, so witzig aus alte Topf, und…«
»Einradfahren.«
»Ja, auch. Mein Vater ist ein ganz Verrückter.«
Nach dem Kirschbaum ging’s endlich los. Im blumengeschmückten Auto fuhr das Paar vor. Die Menge applaudierte, eine Combo begann eine Mischung aus Dorfmusik und Zigeunermarsch, Türen wurden aufgerissen, zwei nackte Beine schlüpften aus dem Dunkel, und da war sie: schmal, schwarzhaarig, mit sehr hellen Augen und einer Miene, als sei sie ins falsche Video geraten. »Beinbruch 92« oder »Weihnachten bei Schwiegermutter« - da hätte ihr Ausdruck gepaßt. Ehe sie ganz ausstieg, beugte sie sich noch mal zurück ins Wageninnere, und ihr Kopf bewegte sich ruckartig. Dann richtete sie sich auf, wischte irgendwas von ihrer Schulter und wandte sich den wartenden Gästen mit einem Lächeln zu, als habe sie gerade erfahren, daß ihr Angetrauter mit einem Großteil der weiblichen Anwesenden Verhältnisse pflegte. Oder jemand hatte das Hochzeitskleid verschlampt: Sie trug nichts weiter als einen kurzen weißen Kittel, weiße Sandalen und eine Perlenkette.
Für ein paar Sekunden herrschte allgemeines Zögern. Selbst die Combo schien einige Takte auf der Stelle zu spielen. Doch schließlich trat einer der Umstehenden auf Leilas Mutter zu, umarmte und küßte sie, und bald folgte Hinterkopf auf Hinterkopf. Ein halber Innenhof voll Gäste wollte begrüßt sein. Soweit zwischen den einzelnen Umarmungen erkennbar, begann Leilas Mutter zwar nicht gerade, vor Liebreiz zu sprühen, aber mit zunehmender Dauer des Rituals taute ihre Miene doch immerhin so weit auf, daß die Leute nicht mehr meinen mußten, sie hätten sich für ihr Erscheinen zu entschuldigen.
Nach etwa fünfzehn Hinterköpfen wechselte der Kameramann den Blickwinkel und zoomte ihr Gesicht heran. Es war feiner, zerbrechlicher, aber auch härter als das ihrer Tochter. Eine dünne, karamelfarbene Haut, eher kleine, eher zarte Knochen und hellgrüne, fast durchsichtig wirkende Augen. Andererseits wiesen ihr ebenso abweisender wie forschender Blick und eine Ahnung zukünftiger Falten, die nicht so aussehen würden, als kämen sie nur vom Lachen, auf eine Person hin, die zumindest wußte, was sie nicht wollte, und das auch selten bekam. Das einzige, worin sich Mutter und Tochter, soweit auf einem Videofilm erkennbar, hundertprozentig glichen, war der Mund. Der sagte jetzt irgendwelche Sachen, lächelte inzwischen beinahe herzlich und küßte stetig hingehaltene Wangen.
Es war nicht so, daß ich mir wer weiß was ausmalte. Ich mochte Leila, und ihre Mutter hatte ganz sicher mal nichts Abstoßendes, nicht für mich. Doch es war nur ein Film, und ich saß zu Hause, und die Frau zu finden gehörte zu meinem Job - bis sie in die Kamera guckte. Keine Ahnung, warum, aber sie guckte mit ihren hellen
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