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Kaylee

Kaylee

Titel: Kaylee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Vincent
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und Onkel Brendons Miene verfinsterte sich bedrohlich. Von überall her strömten die Patienten herbei, um zu sehen, was der Aufruhr zu bedeuten hatte.
    Ich blieb sitzen, versteinert vor Angst, weil mich die Situation an etwas erinnerte. Hatte ich auch so ausgesehen, als die Pfleger mich am Bett festgeschnallt hatten? Waren meine Augen auch so glasig und leer gewesen? Die Bewegungen so unkontrolliert?
    Zumindest war ich angezogen gewesen, das schon. Aber wenn die nächste Panikattacke mich unter der Dusche ereilte, mochte das schon wieder anders aussehen. Würden sie mich dann tropfnass und splitternackt, wie ich war, ans Bett schnallen?
    Während ich starr vor Schreck zusah, wie die Pfleger den Neuankömmling durch die Station zerrten, verzog sich Onkel Brendon mit Tante Val in eine Ecke des mittlerweile fast leeren Zimmers. Er schielte kurz zu mir rüber, doch ich tat ganz unbeteiligt, damit er nicht merkte, dass ich sie belauschte.
    „Wir gehen die Sache ganz falsch an, Val. Sie sollte nicht hier sein”, flüsterte er aufgebracht. Ich jubelte innerlich. Schizophren oder nicht – bisher stand die Diagnose noch nicht fest –, ich gehörte nicht nach Lakeside. Daran hatte ich keinerlei Zweifel.
    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Tante Val die Arme vor ihrer schmalen Brust verschränkte. „Dr. Nelson entlässt sie erst, wenn …”
    „Ich bringe ihn schon dazu, seine Meinung zu ändern.”
    Wenn das jemand schaffen konnte, dann Onkel Brendon. Er hätte einem Blinden ein Auto verkaufen können.
    Einer der Pfleger ließ den Arm des Neuankömmlings kurz los, um die Decke hochzuziehen. Dieser nutzte die Gelegenheit, den Mann zu schubsen, und fing eine Rangelei mit dem zweiten an, wobei er einen Schwall übler Beschimpfungen ausstieß.
    „Er hat heute Abend keine Bereitschaft”, flüsterte Tante Val mit einem ängstlichen Seitenblick auf die Rauferei. „Du kannst ihn erst morgen erreichen.”
    Die Miene meines Onkels verfinsterte sich zunehmend. „Ich rufe ihn gleich morgen früh an. Länger als eine Nacht lasse ich sie nicht mehr hier, und wenn ich sie eigenhändig hier raushole!”
    Ich wäre am liebsten vor Freude in die Luft gesprungen, aber sie durften ja nicht merken, dass ich zuhörte.
    „Aber nur, wenn sie bis dahin keinen weiteren … Anfall erleidet.” Tante Vals Bemerkung trübte meine Freude erheblich.
    Im selben Moment entdeckte ich Lydia. Sie saß ganz hinten zusammengekrümmt auf einem Stuhl, das Gesicht vor Schmerz verzerrt, und beobachtete uns. Sie versuchte erst gar nicht, ihre Neugier zu verbergen, sondern lächelte mich matt und traurig an.
    Val und Brendon verabschiedeten sich, sobald sie den Neuen festgeschnallt und unter Beruhigungsmittel gesetzt hatten. Als ich diesmal allein zurückblieb, wurde das Gefühl von Einsamkeit und Verzweiflung, das mich überkam, von einem kleinen Fünkchen Hoffnung versüßt.
    Nur acht Stunden und ein Telefonanruf trennten mich von der Freiheit. Das musste gefeiert werden – zum Beispiel mit einem kleinen Lagerfeuer aus Designer-Jogginganzügen.

6. KAPITEL
    Als ich an meinem siebten Morgen in Lakeside die Augen aufschlug, fiel mir als Erstes ein, dass ich nun ganz offiziell den Abschlussball verpassen würde. Mein Ärger darüber hielt sich aber in Grenzen, da der zweite Gedanke meinem Bett galt, in dem ich an diesem Abend schlafen würde. Allein diese Vorstellung hellte meine Stimmung auf.
    Vielleicht war ich doch nicht verrückt. Vielleicht neigte ich einfach zu Panikattacken, was mit den Tabletten ganz gut in den Griff zu kriegen wäre. Vielleicht konnte ich ein normales Leben führen – sobald Lakeside hinter mir lag.
    Da ich schon vor Sonnenaufgang aufgestanden war, hatte ich bereits die Hälfte eines Fünfhundert-Teile-Puzzles fertig, als Schwester Nancy im Gemeinschaftsraum auftauchte und mich nach meiner Verdauung und meinen Selbstmordabsichten befragte. Obwohl ich ihr am liebsten gesagt hätte, wohin sie sich ihren Notizblock stecken konnte, zauberte ich ein freundliches Lächeln auf mein Gesicht.
    Beim Personal sorgte meine fröhliche Stimmung anscheinend für Misstrauen, denn an diesem Morgen wurde ich noch öfter kontrolliert als sonst. Völlig zu Unrecht allerdings, weil ich nichts anderes tat, als vor mich hin zu puzzeln und aus dem Fenster zu starren. Ich sehnte mich nach frischer Luft und einem Donut, umso mehr, weil ich hier drin keinen bekommen konnte.
    Nach dem Frühstück machte ich mich daran, meine Sachen zusammenzupacken. Jeden

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