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Kaylee

Kaylee

Titel: Kaylee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Vincent
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mein Zimmer. Lydia trat die Tür mit dem Fuß ins Schloss. Mir schossen Tränen in die Augen. In meinem Hals sammelte sich ein tiefes Wehklagen, gegen das ich nichts auszurichten vermochte. Ich konnte mir nur den Mund zuhalten und auf das Beste hoffen.
    Lydia sank aufs Bett und streckte die Hände nach mir aus. Ihr Gesicht war blass und trotz der kühlen Luft im Zimmer schweißnass. „Beeil dich”, sagte sie, doch als ich einen Schritt auf sie zu machte, schwappte wie aus dem Nichts dieses schreckliche Grau ins Zimmer. Es schien von nirgendwoher zu kommen und gleichzeitig von überall her. Plötzlich war es da und entzog der Welt jegliche Farbe, verdichtete sich mit jedem schrägen Ton, der aus meinem Hals drang.
    Ich kroch zu ihr aufs Bett und wischte mir mit dem T-Shirt die Tränen aus dem Gesicht. Es war real. Der Nebel war real!
    Dieser Erkenntnis folgte ein noch größerer Schock. Wenn ich mir das Ganze nicht einbildete, was zur Hölle ging dann hier vor sich?
    „Gib mir deine Hände.” Keuchend krümmte sich Lydia zusammen. Als sie wieder Luft zu bekommen schien, griff ich nach ihrer Hand, ohne die andere vom Mund zu nehmen. „Normalerweise versuche ich, es aufzuhalten”, flüsterte sie und strich sich das braune Haar aus dem Gesicht. „Aber meine Kraft reicht nicht mehr. An diesem Ort gibt es so viel Schmerz …”
    Was wollte sie aufhalten? Was zum Teufel war hier los? Mir wurde ganz schlecht vor Ungewissheit. Sie war fast so schlimm wie die dunkle Angst, die den unkontrollierbaren Schrei entfachte. Wovon redete Lydia da? Vielleicht gab es doch einen Grund dafür, dass sie mit niemandem sprach.
    Lydia schloss die Augen, die Schmerzen schienen zuzunehmen. Als sie wieder sprechen konnte, war ihre Stimme so leise, dass ich sie nur mit Mühe verstehen konnte. „Wenn ich den Schmerz fließen lasse, ist es für uns beide am erträglichsten. Hole ich ihn mir von dir, geht es zwar schneller, aber manchmal bekomme ich dann zu viel ab. Mehr als nur den Schmerz.” Sie zuckte zusammen und blickte über meine Schulter, als könne sie direkt durch die Wände zu Tyler hinübersehen. „Und ich kann es nicht wieder rückgängig machen. Aber egal, wofür wir uns entscheiden, es ist einfacher, wenn ich dich berühre.”
    Sie sah mich erwartungsvoll an, aber ich konnte nur stumm den Kopf schütteln, um ihr meine Ahnungslosigkeit zu signalisieren. Reden konnte ich nicht, weil der Schrei immer noch in meinem Hals wütete.
    „Schließ die Augen und lass den Schmerz fließen.”
    Aus Mangel an Alternativen tat ich, was sie sagte.
    Auf einmal fühlten sich meine Hände gleichzeitig heiß und kalt an, als hätte ich Fieber und Schüttelfrost zugleich. Auch Lydia zitterte am ganzen Körper, so stark, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Doch als ich meine Hand wegziehen wollte, hielt sie mich fest. „Lass … lass die Augen zu”, stotterte sie. „Egal, was p…p…passiert.”
    Völlig verängstigt schloss ich die Augen und konzentrierte mich darauf, die Kiefer zusammenzupressen. Die Nebelgestalten zu ignorieren, die in meinem Kopf herumspukten. Und den Schmerz und die Verzweiflung zu verdrängen, die mich durchströmten.
    Und langsam, ganz langsam, ebbte die Panik ab. Anfangs kaum merklich, wurden die schrillen Töne aus meinem Hals irgendwann leiser, bis sie kaum mehr zu hören waren. Die Panik war noch da, schwächer als zuvor, doch dank Lydias Eingreifen endlich beherrschbar.
    Lydias Gesicht dagegen war eine Maske aus Schmerz, auf ihrer Stirn glänzte Schweiß. Sie hatte die Faust um ihr T-Shirt gekrallt und drückte sie auf den Bauch, als täte es ihr dort weh. Aber ich konnte weder Blut noch eine Verletzung erkennen.
    Irgendwie schien sie die Angst von mir abzuleiten, und das schwächte sie. Egal, wie gerne ich Lakeside hinter mir lassen wollte, meine Freiheit durfte nicht auf ihre Kosten gehen!
    Immer noch unfähig zu sprechen, versuchte ich erneut, die Hand wegzuziehen, doch Lydia schlug schon beim ersten Ruck die Augen auf. „Nein!” Sie hielt mich fest, Tränen in den Augen. „Ich kann es nicht aufhalten. Und wenn ich mich dagegen wehre, tut es nur noch mehr weh.”
    Mich würde der Schmerz nicht umbringen, aber bei ihr war ich mir da nicht so sicher. Ich zerrte wieder an der Hand, aber sie schüttelte heftig den Kopf.
    „Es tut mir weh, Kaylee. Wenn du loslässt, tut es nur noch mehr weh.”
    Die Lüge stand Lydia ins Gesicht geschrieben. Sie hatte mein Gespräch mit Onkel Brendon und Tante Val belauscht

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