Kaylee
verrückt zu klingen?
„Kaylee?” Stevens hielt die Hände im Schoß gefaltet und sah mich abwartend an. Ob ich wollte oder nicht, ich hatte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Ich … Ich hab mir eingebildet, etwas zu sehen. Aber da war nichts. Nur ein ganz normaler Schatten.”
„Du hast also Schatten gesehen.” Es klang mehr wie eine Frage.
„Ja. Sie wissen schon, diese Stellen, wo kein Licht hinkommt.” Ähnlich einer psychiatrischen Klinik …
„Was an den Schatten hat dich zum Schreien gebracht?” Sie sah mir unverwandt in die Augen.
Es hätte sie nicht geben dürfen. Sie haben einen Jungen im Rollstuhl eingehüllt und nichts anderes berührt. Sie haben sich bewegt . Suchen Sie sich einen Grund aus … Wenn ich ehrlich antwortete, würden sie mich nur noch länger hier gefangen halten.
Ich wollte lernen, mit den Panikattacken umzugehen, und nicht darüber reden, was sie verursachte.
„Sie waren irgendwie … unheimlich.” Das war gut. Ungenau, aber wahr.
„Hm.” Die Therapeutin schlug die Beine übereinander und nickte, als hätte ich die richtige Antwort gegeben. „Ich verstehe.”
Sie verstand rein gar nichts. Und selbst wenn ich wollte, ich hätte es ihr nicht erklären können. Nicht einmal, wenn mein Leben davon abhing – oder vielmehr mein Verstand.
Nach dem Mittagessen löcherte mich Dr. Nelson mit einer ganzen Liste von Fragen bezüglich meiner Krankengeschichte. Tante Val zufolge war er derjenige, der mir wirklich helfen konnte. Doch nach der Therapiestunde am Vormittag hatte ich da meine Zweifel – berechtigte, wie sich nach den ersten Sätzen des Arztes bestätigte.
Dr. Nelson: „Nimmst du momentan irgendwelche Medikamente?”
Ich: „Nur das, mit dem Sie mich gestern vollgepumpt haben.”
Dr. Nelson: „Ist in deiner Familie ein Fall von Diabetes, Krebs oder grauem Star bekannt?”
Ich: „Keine Ahnung. Dad kann ich nicht fragen. Aber meinen Onkel, wenn er heute Abend kommt.”
Dr. Nelson: „Leidest du unter einer der folgenden Krankheiten: Adipositas, Asthma, Krampfanfälle, Zirrhose, Hepatitis, HIV, Migräne, chronische Schmerzen, Arthrose oder Wirbelsäulenschäden?”
Ich: „Meinen Sie das ernst?”
Dr. Nelson: „Sind in deiner Familie Fälle von geistiger Störung bekannt?”
Ich: „Ja. Meine Kusine hält sich für einundzwanzig und meine Tante für achtzehn. Das zählt doch wohl zu geistigen Störungen.”
Dr. Nelson: „Genießt du regelmäßig Koffein, Alkohol, Nikotin, Kokain, Amphetamine oder Opiate?”
Ich: „Ja, klar. Alles durcheinander! Was soll ich sonst in den Freistunden anstellen? Jetzt, da Sie’s sagen – ich darf nicht vergessen, meinen Geheimvorrat von Ihren Sicherheitsleuten zurückzuverlangen, sobald ich hier rauskomme.”
Jetzt hob der Arzt endlich den Kopf und sah mich an. „Das hilft dir nicht weiter, weißt du. Du kommst am schnellsten hier raus, wenn du kooperierst. Wenn du mir hilfst, dir zu helfen.”
Seufzend betrachtete ich die glänzende Stelle auf seiner Glatze. „Ich weiß. Aber Sie sollen mir doch dabei helfen, diese Panikattacken abzustellen. Und nichts von all dem hier …” Ich deutete auf die Liste, die ich nur zu gern in die Finger bekommen hätte. „… hat auch nur im Entferntesten etwas damit zu tun, warum ich hier bin.”
Dr. Nelson runzelte die Stirn und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Leider kommen wir um diese Fragen nicht herum. Es gibt Partydrogen, die ähnliche Symptome hervorrufen, wie du sie hattest. Und das muss ich vorab ausschließen. Würdest du also bitte die Fragen beantworten?”
„Na schön.” Wenn er mir wirklich helfen konnte, dann würde ich mich heilen lassen – und dann nichts wie raus hier. Kurz und schmerzlos. „Ich trinke Cola, so wie jeder andere Teenager dieser Welt”, antwortete ich zögernd. Durfte er meiner Tante und meinem Onkel irgendetwas von dem verraten, was ich sagte? „Und einmal habe ich ein halbes Bier getrunken. Im Sommer.” Emma und ich hatten uns die Flasche geteilt, weil wir nur eine gehabt hatten.
„Ist das alles?”
„Ja.” Es war schwer zu sagen, ob er mit meiner Antwort zufrieden war oder sich insgeheim über mein ungenügendes Sozialleben amüsierte.
„Na gut.” Er kritzelte etwas in die Akte, schlug das oberste Blatt aber so schnell um, dass ich nichts davon lesen konnte. „Die folgenden Fragen beziehen sich auf deine ganz speziellen Probleme. Wenn du nicht wahrheitsgemäß antwortest, schadest du uns beiden.
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