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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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angelegt.”
    Das Kleid war
bequem
. Erstens hatte es sehr wenige Knöpfe, also konnte sie das verdammte Ding mit etwas Mühe selber anziehen. Zweitens, sie konnte sich bücken und ihre Zehen berühren, ohne von Nähten und dem Schnitt des Stoffes zerquetscht zu werden. Drittens, sie konnte einem Mann ins Gesicht treten, ohne den Saum des Rockes auszureißen. Oder der Röcke. Sie fielen wie aus einem Stück, aber es schien mehrere Lagen mit Schlitzen zu geben, die einem etwas so Praktisches wie Rennen gestatteten. Wahrscheinlich konnte sie in dem Kleid sogar Spagat machen. Nicht dass sie das vorhatte, solange sie irgendjemand beobachtete. Sie hatte so schon genug ihrer Würde verloren.
    Sie wünschte sich, sie hätte das Kleid bekommen können,
bevor
sie Andellen um eine Führung durch die Hallen gebeten hatte.
    “Okay. Du hast ein Kleid an”, sagte Severn. Er hatte sich tatsächlich die Zeit genommen, so etwas wie Schlaf zu bekommen. Das, und er hatte sich rasiert. Oder rasieren lassen. Jedenfalls sah er aufgeweckt und wachsam aus.
    Sie konnte von dem leichten Zusammenpressen seiner Lippen ablesen, dass sie selbst wie feuchter Dreck aussah. Oder wie das, was von Dreck übrig blieb, wenn man lange darauf herumgetrampelt hatte.
    “Ich schlafe schon noch”, sagte sie zu ihm. “Es ist nur … es gibt ein paar Sachen, die ich gerne vorher überprüfen würde …”
    “Das kannst du in deinen Träumen tun.”
    “Severn …”
    Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte zu ihr herab.
    “Ich bin wirklich nicht so müde, wie du aussiehst … ich meine, wie du denkst, dass ich aussehe …”
    Sein Lächeln konnte fast schon als
selbstgefällig
bezeichnet werden. “Ehe du weiter in alle Fettnäpfchen trittst – Teela hat gesagt, sie musste dein Gesicht aus dem Wasser fischen, weil du beim Haarewaschen eingeschlafen bist.”
    “Ich habe nicht geschlafen – ich habe mein Gesicht gewaschen!”
    “Während du fast ertrunken bist. Sie war ziemlich beeindruckt.”
    “Darauf wette ich.”
    “Dein Geld.”
    “Mein Geld.”
    Er lachte. “Kaylin, du kannst nicht immer auf der Jagd sein. Du musst schlafen, auch wenn es nur ein paar Stunden sind. Jetzt wäre die Gelegenheit.”
    Sie wollte wirklich noch mehr Einwände erheben. Teils, weil es in ihrer Natur lag, teils, weil es ihr auf eine perverse Art Spaß machte. Aber sie
gähnte
oder vielmehr, sie startete den schlechtesten Versuch der Welt, ein Gähnen zu unterdrücken.
    Sie brauchte wirklich Schlaf. Aber sie war nicht zu Hause.
    Du hast in der Burg geschlafen, sagte sie sich mit hitziger Verachtung.
    Aber die Burg war anders.
    “Kaylin?”
    “Ich will hier nicht schlafen”, gestand sie ihm endlich.
    “Besser als unter Wasser.” Er sah zu den Wachen. “Wartet draußen”, befahl er ihnen. “Bewacht die Türen.”
    Beide sahen ihn einen Augenblick lang an, doch Samaran blickte erst zu Andellen, ehe er nickte. Andellen nahm von Severn Befehle an, als hätte er sein ganzes Leben lang damit zugebracht, diese Kunst zu verfeinern.
    Kaylin war zu müde, um sich zu überlegen, warum.
    “Sie wecken dich, wenn irgendetwas passiert.”
    “Und du?”
    “Ich bleibe hier”, sagte er leise. “Ich habe schon geschlafen. Ich wache hier.”
    “Du wachst?”
    Er nickte. “Ich wache über dich.”
    Sieben Jahre lösten sich in Nichts auf, als sie die Worte hörte. Es gelang ihr, zu dem überdimensionalen großen Bett hinüberzutaumeln. Es hüpfte ein wenig – oder sie tat es, sie konnte es nicht unterscheiden. Sie lauschte nach dem Geräusch der Wilden, eine halbe Stadt weit entfernt, in einem Raum, der erfüllt von buntem Licht war. Sie horchte nach dem Wind. Und sie horchte nach dem Geräusch von Severns Atem. Es erklang aus der Ferne.
    Sie hob ihren Kopf, versuchte sich auf sein Gesicht zu konzentrieren.
    Er war dort. Er blickte sie an. Sein Gesichtsausdruck war merkwürdig, halb gebrochen, unverfälscht von Sarkasmus, Neutralität oder Ironie. Er wartete, bis sie etwas sagte.
    Stattdessen hob sie eine Hand.
    Und er kam zu ihr, leise, seine Schritte vom Boden verschluckt und von ihrem schwindenden Bewusstsein. Umständlich setzte er sich neben sie, aber er setzte sich. Der Klang seines Atems war jetzt nahe genug, dass sie beruhigt die Augen schließen konnte.
    Der Lord der Westmarsche stand dem Lord der grünen Auen gegenüber. Sie sahen für ihr ungeschultes Auge wie Zwillinge aus, aber sie schlief, und sie wusste es. Was verstörender sein sollte, als es

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