Kaylin und das Geheimnis des Turms
dich stellen musstest. Wir sprechen nicht davon.”
“Ich kann es.”
“Du warst klug genug, Evarrim nichts zu erzählen.”
“Das ist etwas anderes. Dem würde ich nicht einmal verraten, wie Mrs. Evans’ Hund heißt.”
Teela lachte leise. Aber es dauerte nicht lange. Und ihre Augen verloren nicht den blauen Farbton, der immer Gefahr bedeutete.
“Es ist eine Prüfung des Lebens”, erklärte Teela ihr, “für die Barrani. Ein Test ihres
Namens
.”
“Das verstehe ich nicht.”
“Das hatte ich auch nicht erwartet. Sterbliche haben keine Namen. Und ich würde jeden Cent, den ich besitze, verwetten, dass du auch keinen hattest, ehe du die Prüfung bestanden hast.” Ihr Gesicht war vollkommen regungslos. Sie lehnte sich zurück, und es gelang ihr, ihre Schlaffheit steif und unnatürlich aussehen zu lassen. “Wenn die Hohen Hallen können, nehmen sie uns unseren Namen. Wenn nicht, behalten wir unser Leben. Nicht mehr und nicht weniger als das.”
“Das haben sie nicht versucht …”
“Die Hohen Hallen sind von den Alten gebaut worden. Sie wussten nicht, dass außerhalb ihrer Fähigkeiten, ihrer Worte, ihrer Magie noch Leben existiert. Sie hätten dich nicht einmal erträumen können. Sie konnten sich auf dich nicht vorbereiten. Was auch immer du bezwungen hast, war das Echo einer alten Prüfung, mehr nicht. Es war eine Prüfung wahren Lebens.”
“Ich habe bestanden.”
“Ja. Du hast bestanden, und zwar auf eine Art, die die Alten verstehen konnten. Du hast deinen Namen behalten. Nur dass du vorher keinen hattest.” Sie wartete.
“Ich … ich habe gewählt.”
“Ja, Kaylin.”
“Aber Severn …”
“Wie ich schon gesagt habe, niemand versteht Severns Rolle bei alledem. Ich jedenfalls nicht. Ich hätte gewettet, dass die Hallen ihn verschlingen – haben sie aber nicht. Ich hätte gesagt, dann würde er tragen, was du jetzt trägst, aber das tut er nicht. Ich habe ihn berührt. Es ist nicht dort. Er ist ein Teil von dir, den kein Barrani – nicht einmal der Koloniallord – jemals verstehen kann. Vielleicht ist das menschlich.” Sie zuckte mit den Schultern, und um sie herum wühlte sich das Wasser auf und schlug in kleinen Wellen gegen ihre Haut.
“Es geht nicht um Severn. Es geht um den Lord der Westmarsche. Er will, dass ich seinen Bruder rette”, sagte Kaylin leise.
“Ich weiß.” Teela schloss ihre Augen. “Es ist nicht immer so, dass Brüder sich nahestehen. Fast nie, wenn so viel Macht auf dem Spiel steht. Aber zwischen ihnen gibt es eine Verbindung, die auch der Durst nach Macht nicht brechen kann. Über sie sind Balladen geschrieben worden”, ergänzte sie leise.
“Er hat die Prüfung abgelegt, richtig?”
“Der Lord der Westmarsche?”
“Der Lord der grünen Auen.”
“Hat er.”
“Und er hat bestanden?”
“Er ist zurückgekehrt”, sagte Teela gedämpft.
“Das ist keine richtige Antwort.”
“Nein, ist es nicht. Wir sprechen hier von Dingen, von denen nicht gesprochen werden darf. Ich war jung. Ich wurde im gleichen Jahr geboren wie der Lord der Westmarsche”, erklärte sie. “Wir sind Vettern, aber nur entfernt verwandt. Und ich sah die Zuneigung zwischen ihnen – das hat jeder getan. Die Zuneigung wurde Prüfungen unterzogen, das musste so kommen. Aber sie hat standgehalten. Immer. Er spielt keine Spielchen mit dir. Er will, dass du seinen Bruder rettest.”
“Meinst du, ich kann das?”
Teela antwortete nicht.
“Meinst du, der Lord der grünen Auen hat seine Prüfung
bestanden
?”
“Er ist zurückgekehrt.”
“Das ist verdammt noch mal keine Antwort!” Sie bemühte sich, ihre Stimme zu senken. Frustration hatte ihre eigene Lautstärke. “Teela – wenn du nicht bestanden hättest, was wäre dann passiert?”
“Ich hätte meinen Namen verloren. Er bleibt in den Hohen Hallen.”
“Und du?”
“Ich bin Barrani. Ohne Namen bin ich nichts.”
“Gab es jemals irgendwelche Verhandlungen? Hast du gesehen …” Sie versuchte den Satz zu beenden, schaffte es nicht. Ihre Zunge klebte auf einmal an ihrem Gaumen fest.
“Verhandlungen?”, fragte Teela leise.
Kaylin nickte.
“Lass mich dir etwas aus unseren Legenden erzählen. Da wir nicht in einem Klassenzimmer sind, kannst du dabei aufpassen.” sie warf Kaylin einen amüsierten Blick zu.
“Ja, Teela.”
“Die Hohen Hallen sind nicht von den Barrani errichtet worden, aber die Barrani haben sie sich sozusagen unterworfen, lange nachdem es die Kaiserreiche gab. Lange ehe es den
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