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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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Falken.
    Das hier war schwerer.
    Sie wartete.
    Und dann hörte sie es. Ein Rascheln, wie Borke gegen Borke, das Drehen eines Schlüssels in einem Schloss – was, da es nirgends ein Schloss gab, ein guter Hinweis sein sollte –, und sie drehte sich knapp eine Sekunde vor allen anderen um.
    Die Lady – ach verdammt, die
Lordgemahlin
–, trat aus der Seite des großen Baumes, genau wie Kaylin es getan hatte. Sie hätte nass sein sollen, aber das war sie nicht, hätte müde aussehen sollen, tat es aber auch nicht. Ihre Kleidung war nicht schmutzig und nicht zerrissen und mit Sicherheit auch nicht blutverschmiert. Ihre Haare waren nicht verklettet und verfilzt.
    Aber sie trug jetzt Weiß, und ein kleines Diadem glänzte platinfarben auf ihrer Stirn – direkt über der Wunde, die Kaylin vorher aufgefallen war.
    Der Lord der grünen Auen – des Barranihofes, Dummkopf – drehte sich um, stand auf und ging seiner Schwester entgegen. Sie nahmen sich an der Hand, und die Lordgemahlin lächelte auf eine Art, die Kaylin bei der Mutter nie gesehen hatte. Ihre Augen waren ein dunkles Grün mit etwas Blau in ihren Tiefen.
    “High Lord”, sagte sie und nickte.
    “Gemahlin”, antwortete er. Und er führte sie auf die andere Seite des Thrones. Allerdings nahm er seinen Platz nicht wieder ein. Stattdessen erhob er seine Stimme. “Die Gaben sind überreicht”, sagte er mit einer Stimme, die kein Brüllen war, aber dennoch weit reichte, “und die Lordgemahlin ist zurückgekehrt.”
    Der Lord der Westmarsche fiel auf ein Knie und neigte seinen Kopf. Severn tat es ihm nach. Kaylin wollte ihnen ebenfalls folgen, aber der Lord des Barranihofes fasste nach ihrer Hand und hob sie hoch, wie er es auf ihrer Flucht auch getan hatte. Sie musste stehen bleiben, war aber dank ihrer Statur trotzdem nicht viel größer als die Knienden. Und sie knieten alle, bis auf die Lordgemahlin.
    “Es wird Musik gespielt”, sagte er leise zu ihr, “und Lieder. Jedes Lied ist Teil des Erbes der Hohen Hallen. Ich fürchte, du müsstest noch eine Woche hier stehen, um sie alle zu hören, und du bist entschuldigt, sollte das nicht dein Wunsch sein.”
    Sie schluckte. “Severn auch?”
    “Lord Severn auch, denn ich glaube, er hat seine … Beobachtungen abgeschlossen.” Während er das sagte, streifte sein Blick Teelas geneigten Kopf. “Und ich glaube, er wird nichts Unrechtmäßiges finden, wie die Offiziere der Gesetze es wohl sagen würden. Es ist merkwürdig, dass es überhaupt Grund für ihn gab, hier zu erscheinen, denn mir hat niemand von Lethe berichtet. Er hat die Blume als Beweis bei sich getragen, sonst hätte man ihm nicht erlaubt, bei Hofe zu bleiben. Aber so sind die Feiertage, vieles lässt sich nicht erklären, selbst von denen, die es erlebt haben.”
    Sie verstand die Warnung, die er darin verborgen hatte. Und sie verstand, dass er sie umbringen würde, wenn sie etwas erzählte. Es hätte sie wütend machen oder verängstigen sollen. Aber sie fühlte stattdessen einen merkwürdigen Trost – denn der Mann, der über diese Hallen regierte, musste aus Stein und Stahl geschaffen sein.
    Und das war er jetzt, aber sie wusste auch, dass es nicht
alles
war. Seine Mutter hatte etwas anderes für ihn gewollt, als sie gehabt hatte. Durch den Bruder, der ihn liebte, und die Schwester, die ihrer Rasse für eine lange Zeit Mutter sein würde, hatte sie ihm das gegeben.
    Er senkte seinen Kopf kaum merklich. “Wenn du es wünschst, werde ich das Zeichen auf deiner Wange entfernen.”
    Kaylin berührte ihre Wange und merkte, dass sie es fast schützend tat. Sie hatte es nicht gewollt. Hatte seine Bedeutung gehasst oder zumindest das, was sie dafür hielt.
    Aber sie hätte die Quelle vielleicht überhaupt nicht verlassen können, wenn sie nicht Nightshades Stimme, seine fernen Worte, gehabt hätte.
    Sie lächelte schwach. “Unwissen”, sagte sie leise zu ihm, “ist keine Entschuldigung. Nicht einmal meines. Besonders nicht meines.”
    “Und was soll es dann sein?”, fragte er sie sanft.
    Sie sah ihm in die Augen und atmete tief durch. “Ein Tag der Gnade.”
    “Ich habe dich begnadigt, obwohl du es nicht nötig hattest.”
    “Nicht für mich.”
    “Ah. Für deinen
Kyuthe
?”
    “Ich glaube nicht, dass Euer Bruder …”
    “Ich meinte Lord Severn.”
    “Oh. Nein.” Sie atmete aus. “Lord Andellen”, sagte sie leise.
    Seine Augen überschatteten sich blau. “Du bittest um viel.”
    “Für einen Tag. Für
diesen
Tag. Gewährt ihm

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