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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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sie durch das Tor hindurchgingen, und noch langsamer, während sie über den ebenen Boden gingen. Hier wuchs Unkraut, auch wenn der Mangel an Regen es zu diesem goldenen Braun hatte werden lassen, das jedes Feuer im Handumdrehen verschlang.
    Kein Feuer, das sie rufen konnte.
    “Hier?”, fragte sie und hasste, wie verkrampft er war. Hasste, wie verkrampft sie selbst war.
    Er nickte. “Das war der einzig richtige Ort”, sagte er noch und sprach von einem Ort, den sie fast erreichen konnte, wenn sie Mut hatte.
    Mut war eine merkwürdige Sache. Wie die Götter kam und ging er, wie es ihm gefiel, und im Augenblick hatte er sie so vollkommen verlassen, dass sie sich an seine Gegenwart kaum noch erinnern konnte.
    Der einzige Ort, hatte er gesagt, und es stimmte. Die Kolonien selbst waren oft dicht gedrängt, und es wuchs nur wenig in ihnen. Der Wachturm war von einem kleinen Feld aus Unkraut umgeben, das die Jahreszeiten bebauten und sonst keine Hand.
    Und doch führte er sie mitten hindurch. Es stand an einigen Stellen höher als ihre Hüfte und nie niedriger als ihre Knie, und es beugte sich, wenn sie darauftrat, und wich zurück, wenn sie es aus dem Weg schob.
    Endlich erreichte er eine Stelle an der Mauer, nahe dem östlichsten Teil des Zaunes. Und mitten im Unkraut kniete er sich hin und suchte einen Augenblick. Es war keine gemächliche Suche, wenn sie auch nicht verzweifelt war. Er erwartete, dort etwas zu finden.
    Und sie sah es, noch ehe seine Hände es berührten: einen Stein. Ein großer Stein, unbehauen, ungemeißelt. Er trug keine Namen, keine Symbole, kein Anzeichen von menschlicher Handwerkskunst. Es war einfach … ein Stein. Ein großer, nackter Stein.
    Er schloss die Augen, kniete sich davor nieder, und fast hätte sie ihn dort verlassen, weil sie sein Gesicht deutlich im Tageslicht sehen konnte.
Deshalb
hatte sie sich nach der Nacht und ihren Schatten gesehnt, selbst nach einer Nacht, in der es Wilde gab.
    Denn Wilde waren nicht mehr die Bedrohung, die sie einst gewesen waren, und das hier – diese vollkommene Auslieferung – war schlimmer.
    Sie hatte seinen Ärmel losgelassen, als er seine Suche im Unkraut begonnen hatte, und sie wagte es nicht, ihn zurückzunehmen. Stattdessen drehte sie nach einem Augenblick des Schweigens ihren Beutel um, sodass er ihr in den Schoß fiel, als sie sich hinkniete.
    Ihre Hände zitterten, als sie die Metallschließen öffnete.
    Er sprach, ohne sie anzusehen. “Was tust du da?”
    Aber sie antwortete ihm nicht, nicht mit Worten. Sie hatte, nach sorgfältigem Überlegen und wütendem Feilschen auf dem Markt – zu dieser Jahreszeit gab es keine andere Art des Feilschens – einige Dinge mitgebracht.
    Er beobachtete sie dabei, wie sie sie herausnahm.
    Eines war eine einfache Puppe, aus Lumpen, mit Wollhaaren und Knopfaugen und einem winzigen rosa Mund. Das andere eine kleine hölzerne Flöte.
    “Kaylin.”
    “Ich weiß, dass ich sie nicht begraben kann”, sagte sie, ohne ihm ins Gesicht zu sehen. “Ich weiß, wir können sie nicht ausgraben. Ich kann ihnen diese Dinge nicht geben. Sie können sie nicht anfassen.”
    “Sie sind tot”, sagte er fast grob.
    Sie nickte. “Aber ich nicht. Wir nicht”, fügte sie hinzu und starrte dabei immer noch auf den Stein. Sie legte diese merkwürdigen Geschenke davor ab. Das Unkraut würde sich bald wieder aufrichten, und dann waren sie vor allen Blicken verborgen. Genau, wie es das Grab jetzt war.
    “Ich war nicht hier”, sagte sie leise und verbittert. “Ich
hätte
hier sein sollen, und ich war es nicht.”
    Er sagte nichts. Es gab nichts, was er sagen konnte. Doch nach einem Augenblick, mit einem Schnauben, das vielleicht sogar Abscheu ausdrückte, nahm er Puppe und Flöte und legte die eine in die ausgestopften, fäustlingartigen Hände der anderen. “Steffi wollte eine Puppe. Für Jade”, erklärte sie ihm leise. “Und sie wollte eine Flöte für sich selbst. Beides ist nicht so toll.”
    “Kaylin.”
    “Aber ich habe es ihnen versprochen. Wenn wir Geld hätten. Wir hatten nie Geld”, erklärte sie. Als wüsste er es nicht selbst. “Ich hätte da sein sollen.”
    “Das hast du schon gesagt.”
    “Ich hätte dir helfen sollen. Ich kann gar nicht glauben, dass du
beide
getragen …”
    “Ich konnte nicht eine von ihnen zurücklassen”, flüsterte er. “Ich konnte nicht nur eine von beiden aussuchen.”
    “Sie waren schon tot.”
    “Ja.”
    Sie schloss ihre Augen. Der Wind – und er wehte kaum – brachte

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