Kaylin und das Geheimnis des Turms
groß?”
“Krieg.”
Das war wirklich groß. Kaylin sah auf ihre Hosen hinab und hasste Nightshade.
“Severn wartet unten”, erklärte der Falkenlord ihr ruhig. “Ich habe eine Kutsche vorfahren lassen. Es ist eine kaiserliche Kutsche.”
Teela begann sie aus dem Turmzimmer zu zerren, aber der Falkenlord war noch nicht fertig. “Mach schnell und komm schnell wieder. Lass Severn auf keinen Fall von deiner Seite.”
5. KAPITEL
S evern saß in einer Ecke der Kutsche und schien zu schlafen. Jedenfalls, wenn sie ihn nicht so gut gekannt hätte. Sie beobachtete ihn einen Augenblick. Seine geschlossenen Lider waren von feinen Adern durchzogene Membrane, rund und von einem schwarzen Wimpernkranz umgeben. Sein Haar hatte er mit einem kunstvoll verknoteten Band aus der Stirn genommen. Sie erkannte diese Knotenkunst nicht, aber das Band sah teuer genug aus, um als offiziell durchzugehen. Er sah überhaupt nicht mehr aus wie der Junge, mit dem sie aufgewachsen war.
Und doch sah er gleichzeitig noch genau so aus.
Sie schüttelte den Kopf. Sie verschwendete zu viel Zeit mit Gucken und nicht genug mit
Bewegen
. Als sie neben ihm auf die Bank kletterte, öffnete er ein Auge.
“Hast du den Magier schon beleidigt?”
Sie schnaubte. “Den Magier kann man wahrscheinlich nicht beleidigen.” Danach fühlte sie sich etwas ruhiger. “Nein, habe ich nicht.”
“Gut.”
Bastard. Er war schick angezogen, in der Ausgehuniform, und die sah an ihm sogar gut aus. Seine Narben ließen ihn auf jeden Fall wie einen Bodenfalken aussehen, wahrscheinlich war keine Kleidung prunkvoll genug, um ihm das zu nehmen.
Die Tür knallte zu.
“Wo ist Teela?”, fragte sie.
“Sie fährt.”
“Sie
was
?”
“Hast du ein Problem damit?”
Bei allen Göttern, dachte Kaylin. Sie saßen in einer
kaiserlichen
Kutsche.
Die beim Anfahren einen Ruck machte. “Ja!”
Severn gelang es, sich am Fenster festzuhalten, nur deshalb saß er immer noch. Er warf einen finsteren Blick auf die Trennwand zum Kutschersitz. “Schon gut.”
“Was ist mit dem Fahrer?”
Severns Kopf verschwand aus dem Fenster und tauchte genauso schnell wieder auf. Das Fenster war nicht der beste Ort, um seine lebensnotwendigen Glieder aufzubewahren, wenn man sie am Ende der Reise noch vorfinden wollte. Nicht, solange Teela fuhr. “Ist das der große Mann in Dienerkleidung mit dem puterroten Gesicht?”
“Ich werde nicht hinsehen”, entgegnete Kaylin.
“Auch gut.”
Die Kutsche hielt nicht an. Nicht ein einziges Mal. Sie schwankte häufig auf ihren großen Rädern, und Kaylin und Severn versuchten sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen, indem sie sich in die andere Richtung warfen. Aber kaiserliche Kutschen waren stabil genug, um vier Drachen zu tragen, sie fielen nicht so einfach um. Wenn sie geglaubt hätte, auch Teela sei sich dessen bewusst, hätte sie das ein wenig beruhigt – aber sie hatte schon in einer Kutsche gesessen, die Teela gefahren hatte. Ein einziges Mal.
Sie hatte sich geschworen – und jedem sonst, der es hören konnte –, dass sie es nie wieder tun wollte. So viel zu Versprechungen.
Damals war Tain ihr Gefährte gewesen, und er hatte die ganze Reise amüsant gefunden, besonders den Teil, als Kaylin grün angelaufen war. Man musste den Humor der Barrani lieben, wenn nicht, versuchten sie, einen umzubringen.
Severn lief nicht grün an. Als gehörten akrobatische Übungen im Inneren eines schwankenden Fahrzeugs zu seiner Grundausbildung, bewegte er sich mit allen Hügeln, Steinen und Schlaglöchern, aus denen die Straße bestand.
Aber diese Landschaft zog schnell vorüber, genau wie die hohen, schmalen Gebäude an den Straßenrändern, die ihre Schatten warfen und jenen Leuten Schutz boten, die klug genug waren, schnell aus dem Weg zu gehen.
Die Straße wurde breiter und die Kutsche schneller. Vor den Fenstern wurden die Gebäude prachtvoller, Holz ging zu Stein über und Stein in mehrere Stockwerke hohe Prachtbauten hinter Zäunen, die von Macht und Geld erzählten. Die Türme des Kaiserpalastes tauchten einen Augenblick in der Ferne auf. Das Rot und Gold der kaiserlichen Standarte wehte hoch am Himmel. Nur die Gesetzeshallen hatten Türme, die ebenso hoch waren, und das nur auf kaiserliche Erlaubnis hin; kein anderes Gebäude, das nach der Gründung des Kaiserreiches Ala’an entstanden war, durfte höher in den Himmel reichen.
Es
gab
andere Gebäude mit ebenso hohen Türmen, aber die lagen im Herzen der Kolonien, wohin selbst
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