Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
Vom Netzwerk:
Erstaunen war ein zu kleines Wort für das, was sie fühlte.
    Es hätte ewig so weitergehen sollen.
    Doch die Blätter begannen zu fallen. Der Windhauch trug sie fort. Der Wind wehte sie in die anderen Bäume, und wo Gold auf Grün traf, entstanden neue Farben. Rot, Gelb, Burgunder – ein Aufruhr, der von Herbst sprach, vom Wechsel der Jahreszeiten.
    Als sie hinabsah, merkte sie, dass sie noch ihre Stiefel trug. Und ein Unterhemd und locker sitzende Hosen.
    Es war besser, als nackt zu sein. Aber nicht viel.
    Sie ging hinüber zu dem Stamm des bereits immensen Baumes und fragte sich, was Alter bedeutete. Er war ebenso hoch wie der Wald, auch wenn er keinem anderen Baum glich, der hier wuchs. Es war, als wäre er, obwohl er den Regeln des Waldes unterlag, auch ihren Regeln unterlegen.
    Sie lehnte sich gegen den glatten, glatten Stamm und hob ein Blatt auf. Es wurde in ihrer Hand zu Staub, aber es war goldener Staub, der ihre Haut zum Glänzen brachte.
    Ein Schatten fiel über ihre Hand, während sie sie anstarrte. Sie blickte auf. Vor ihr stand ein Barrani, dessen Augen so grün wie die Blätter des Waldes waren, ehe diese sich verwandelt hatten.
    “Ihr seid der Lord der Westmarsche?”, fragte sie leise.
    Er nickte. Er schaute sie dabei kaum an. Sie hätte gerne etwas über Dankbarkeit gemurmelt, aber sein Blick hatte sich in den Blättern über ihren Köpfen verloren und starrte voll Erstaunen. Sie hasste es fast, seine Trance zu durchbrechen. Sie verstand, was er sah.
    Aber sie verstand auch, dass sie nicht für immer hierbleiben konnte. Also räusperte sie sich.
    Daraufhin sah er zu ihr herab. Er war groß, selbst für einen Barrani. “Du bist Kaylin Neya”, sagte er.
    “So nennt man mich.”
    “Ah. Ist es ein Titel?”
    “Ein Name.”
    Er hob seine Augenbrauen. Seine Augen schmälerten sich. “Es ist kein Name”, flüsterte er. “Hier gibt es nur einen Namen.”
    “Euren, nehme ich an.”
    Doch er starrte weiterhin den Baum an. “Und doch … ich lese ihn, dort, in den Blättern. Du bist ein Raubvogel. Wessen Haube trägst du?”
    “Die des Falkenlords”, antwortete sie und erhob sich.
    Er beugte sich herab und nahm ein goldenes Blatt. In seiner Hand zerfiel es nicht. Wahrscheinlich würde allerdings auch in seinem Mund kein Eis schmelzen.
    Er sah ihr ins Gesicht. Runzelte die Stirn. Streckte eine Hand aus und berührte ihre Wange.
    Ihre rechte Wange. “Nightshade”, sagte er.
    “Das ist eine Pflanze.”
    Sein Lächeln war seltsam. “Es ist, wie du sagst, eine Pflanze. Ich glaube nicht, dass sie hier wächst.”
    “Nein.”
    “Und doch hat er dich geschickt.”
    “Nein!”
    “Nein?”
    “Ich bin von selbst gekommen.”
    “Mit diesem Zeichen hast du dich dem Hof gestellt?”
    Sie runzelte die Stirn. “Woher wisst Ihr, wo Ihr seid? Ihr seid nicht …”
    “Ich bin bei Bewusstsein.” In diesen vier Worten vernahm sie eine unüberbrückbare, eisige Distanz. Er war ein Mann, der Macht gewohnt war oder wenigstens die Art Respekt, die man am besten als Angst bezeichnete. Andererseits war er schließlich auch ein Lord der Barrani. Nicht alle von ihnen waren so uncharmant wie Lord Evarrim.
    “Es war Teela.”
    “Teela?”
    “Anteela.”
    “Ah, meine Base. Die Rebellin.”
    “So wird sie von uns nicht genannt.”
    “Uns?” Dieses Mal war sein Stirnrunzeln geringer, aber andererseits stellte sie nun auch sein Wissen nicht infrage. “Du … du bist ein Falke?” Er sprach die Worte langsam aus, als wäre er sich nur schwer bewusst, dass er sie gesprochen hatte.
    “Ein Bodenfalke.”
    Er betrachtete die Blätter, die um sie herum gefallen waren und die Kronen der anderen Bäume berührt hatten. “Das ist nicht alles”, sagte er schließlich, “aber du lügst auch nicht.”
    Sie zuckte mit den Schultern. “Das gehört nicht zu meinen Talenten.”
    “Selbst wenn”, antwortete er und blickte sie dabei unverwandt an, “könntest du hier nicht davon Gebrauch machen.”
    “Hört zu”, sagte sie und stemmte dabei die Hände in die Hüften, “wenn ich die Situation richtig verstehe, liegt Ihr im Sterben. Wollt Ihr mich aufhalten?”
    Sein Lächeln war verstörender als sein Stirnrunzeln. “Ich hatte mich verlaufen”, sprach er. “Du
bist
menschlich.”
    “Mehr oder weniger.”
    “Du gehörst nicht an diesen Ort.”
    Was du nicht sagst.
    “Was hast du hier getan?”
    “Ich … habe etwas gepflanzt. Es ist gewachsen.”
    Seine Augen waren grün. Nur grün. “Anteela muss dir

Weitere Kostenlose Bücher