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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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mich. Aber du trägst meinen Namen, das verbindet uns. Solltest du mich heilen, wirst du zu einem Teil von dem, was du siehst.”
    “Würde ich einen Wald sehen?”
    Schweigen.
    Sie antwortete ebenso, aber sie hörte nicht auf, die Erde zu berühren. Ihre Finger hinterließen Spuren im Dreck, und der Dreck färbte ihre Fingernägel in ein tiefes, dunkles Schwarz. Graben war einfach. Es gab ihren Händen etwas zu tun, und es war besser, als wie ein idiotischer Pilger weiter herumzuwandern.
    Als sie eine handbreite Furche in den Dreck gegraben hatte, sah sie sich ihre Arme noch einmal an. Sah die Zeichen, die ihre Arme zierten, die hier an diesem Ort realer schienen als je zuvor. Sie brannten nicht, sie glühten auch nicht, sie waren einfach nur da.
    Sie waren von den Alten geschrieben worden, auf eine Art, die keiner der “Neuen” – keiner, der jetzt lebte oder der während des letzten Jahrtausends gelebt hatte – verstehen konnte. Gewiss nicht Kaylin, deren historische Kenntnisse sich auf den Tag genau bestimmen ließen. Den, welchen sie immer auch gerade erlebte.
    Fast unmerklich hatten die Zeichen sich mit der Zeit umgeschrieben, Tod und Aufopferung hatten sie verändert. Und dann hatten sie sich wieder verändert, als sie in das Herz der Nachtschattenburg zurückgekehrt war.
    Was sie jetzt bedeuteten, wusste niemand.
    Sie betrachtete sie alle, fuhr mit den Augen ihre breiten und ihre schmalen Kurven nach, als wären sie ein Mandala, das sich mit ihr bewegte, in ihr lebte. Sie sahen auf den ersten Blick
gleich
aus. Sie sahen auch auf den zehnten Blick gleich aus, und auch nach ein paar wirklich bösen Blicken.
    Aber es gab Unterschiede. Ganz feine Unterschiede.
    Wahrscheinlich eingebildete, so lange, wie sie ihre Arme jetzt schon anstarrte.
    Sie wählte willkürlich eines aus. Ihre Finger strichen über seine Oberfläche, und sie spürte es wieder, diese erhöhte Oberfläche mit scharfen Kanten. Ihre Nägel waren zu kurz, um nützlich zu sein, aber lang genug, um schmutzig zu werden. Sie versuchte diese zu benutzen, aber sie waren stumpf.
    Also griff sie nach ihren Dolchen.
    Aber sie waren nicht da. Wenigstens nicht die, an die sie gewöhnt war. Die hatte Kaylin von ihrem eigenen Geld gekauft, und sie hatte ein kleines Vermögen bei einem verlogenen Mann gelassen, der tatsächlich etwas Magie beherrschte.
    Was an der Stelle ihrer Waffen hing, hatte die Form von Dolchen. Es hatte sogar einen Griff. Aber es war durchsichtig und fein, wie eine Scherbe von bearbeitetem Glas. Es leuchtete blau.
    Blau war schlecht. Diese Art Blau wie ein Stück Himmel erinnerte sie an Magie, und die wollte sie
nicht
an ihre Haut lassen. Auch wenn Neugierde ihren Nutzen hatte, beschlich sie das ungute Gefühl, dass man hier für Blutvergießen einen hohen Preis zahlen musste.
    “Richtig.”
    “Danke.” Sie saß vor einem Dreckhaufen und fühlte sich wie ein Schwein. Sie war müde, und ihr Magen knurrte.
    Dann also nicht die Worte. Nicht die Zeichen.
    Sie gehörten zu ihr, aber sie gehörten ihr nicht.
    Und jetzt gab es nur noch eine Sache, die sie bei sich trug, die für sie einen Wert hatte. Der Falke leuchtete golden.
    Ihn zu entfernen war schwerer, als sie erwartet hatte.
    Ihn in die Furche zu legen, die Tunika so zu falten, dass er zwei Fingerbreit in dem von ihr gegrabenen Loch ruhte, war weitaus schlimmer.
    Sie musste ihre Augen schließen.
    “Gut gemacht, kleine Kaylin.” Die Stimme war jetzt so leise, dass sie die Worte kaum mehr verstehen konnte.
    Es ist nicht echt, sagte sie sich, als sie aufstand und einen Schritt zurücktrat. Aber es
war
echt. Es war die einzige Sache, die echt war.
    Und weil es echt war, schloss sich der Boden darüber. Die Furchen, die sie in den weichen Boden gegraben hatte, verschwanden, die raue, lockere Oberfläche der neu aufgegrabenen Erde wurde glatter, als hätte der Waldboden seine Hand gekrümmt und zu einer flachen Faust geballt.
    Sie sah zu, wie ein Baum wuchs.
    Er war anders als alle anderen Bäume im Wald. Er war blass, und seine Rinde war weich und fast golden gefärbt. Die Blätter schossen ausgefaltet aus ihren Trieben, und unter ihren Füßen entsprangen Wurzeln, die sie zurückweichen ließen. Selbst im Stolpern versuchte sie noch, durch die Kronen der anderen Bäume hindurch den Himmel zu erkennen. Stattdessen stieß sie auf Gold. Die Blätter waren wie Federn, Flugfedern, und hingen in der Luft, während die Äste sich immer weiter in den Himmel erstreckten.
    Sie sah zu.

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