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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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konzentrieren, was vor ihr war. Wachs. Docht. Unter beidem Messing, dazu noch angelaufenes. Aber die Kerze hatte dieses Mal eine andere Farbe, sie war rostrot. Der Docht war lang und blass, aber für ihre Augen schien er gelb.
    Weil sie nicht in der Lage war, ihren Gesichtsausdruck zu kontrollieren, runzelte sie die Stirn. “Diese Kerze …”
    “Ja.”
    “Ist nicht die gleiche …”
    “Ist sie nicht? Wie ungeschickt von mir.”
    Jetzt starrte sie wirklich, denn der Falke gewann die Oberhand. Was erst wie flaches und unauffälliges Messing ausgesehen hatte, schien etwas ganz anderes zu sein. Der Teller war mit dünnen Runen bedeckt, die die Kerze umrundeten. Einige waren verblasst, die Linien zu schwach, um sie noch zu lesen. Andere waren dunkler und klarer, aber auch die überstiegen ihre Lesefähigkeit. Sie waren nicht Elantranisch, Barrani oder Aerianisch. Und bestimmt auch nicht Leontinisch.
    Sie waren aber auch keine alte Magie, die sie nicht verstand. Wenn sie auch nicht lesen konnte, was auf ihrem Körper geschrieben stand, sie konnte doch die Form und Breite der Linien unterscheiden. Es waren nicht die gleichen.
    “Drachen”, murmelte sie zu sich selbst.
    Sanabalis sagte nichts. Seine Miene war etwa so ausdrucksstark wie Stein.
    Sie sprach, ohne nachzudenken. “Kennt Ihr das Wort
Leoswuld
?” Damit fügte sie dem Orange seiner wachsamen Augen noch etwas mehr Tiefe hinzu. Sie waren
fast
rot. Und Kaylin sprang
fast
auf. Sie fand es jedenfalls schwer, keinen Dolch in die Hand zu nehmen.
    “Wo hast du das Wort gehört?”
    “Ich habe es anscheinend im Schlaf gesagt.”
    Seine gehobene Augenbraue ließ ihre Wangen genauso rot werden wie seine Augen.
    “Was”, fragte der Drachenlord mit einer Stimme, die auch über eine Parade hinweg gut hörbar wäre, “ist die Form des Feuers?”
    Als wäre es ihre Routine. Als hätte er es ihr schon hundertmal gesagt und wäre endlich an die Grenzen seiner Geduld gelangt.
    “Ich
weiß
es nicht.”
    “Kaylin”, sagte Sanabalis, die Augen immer noch rot, die unteren Lidern immer weiter gesenkt, “du
weißt
es. Du musst es wissen.”
    “Warum? Warum jetzt?” Sie hielt inne. “Warum seid Ihr so wütend?”
    Sein Gesichtsausdruck veränderte sich kaum merklich. Er wurde nicht freundlicher, aber er verlor doch einiges an Bedrohlichkeit, als er die Falten seiner Lippen zu etwas schürzte, was wie ein grimmiges Lächeln aussah. Wäre es freundlich gewesen, sie wäre schreiend davongelaufen.
    “Ich bin nicht mit dir oder auf dich wütend, Kaylin Neya. Aber die Umstände haben sich verändert, sind schwieriger geworden. Für uns beide.”
    “Ihr seid jetzt wie lange mein Lehrer, zwei Tage? Drei? Was hattet Ihr denn gesagt, wie lange ein Lehrling braucht, um so eine blöde Kerze anzuzünden?”
    “Das hatte ich nicht.”
    “Oh.”
    “Aber hätte ich, wäre es etwa ein halbes Jahr gewesen. Für jemanden mit guter Konzentration und Talent. Manche arbeiten drei Jahre daran, ehe es ihnen gelingt, einigen gelingt es nie.”
    “Und ich soll das in
drei verdammten Tagen
schaffen?”
    “Du behauptest, du bist nicht gerne in Klassenzimmern. Das hier ist ein Klassenzimmer, und im Augenblick gibt es nur einen einzigen Weg für dich, es wieder zu verlassen. Du wirst die Kerze anzünden.” Er fasste in seinen Umhang und zog einen großen Kristall heraus. Er war klar, und aus der Mitte seiner geschnittenen Facetten spielte Licht an den Wänden.
    Sie hatte solche Kristalle schon gesehen, hatte sie gehalten, hatte sich sogar an ihnen verbrannt. “Was passiert, wenn ich die Kerze nicht anzünde?”
    “Dann wirst du das Klassenzimmer nicht verlassen”, antwortete er, “aber das Klassenzimmer wird umziehen.”
    Umziehen. Das war schlecht. “Wohin?”
    “Wohin, glaubst du, Kaylin? Du hast gesagt – zu jedem deiner Lehrer, selbst zu mir –, dass du
da draußen
sein willst. ‘Da draußen’ ist ein Ausdruck mit vielen Bedeutungen. Du möchtest dein Leben in den Dienst von Elantra stellen. Diese Gelegenheit ist dir schon mehrmals gegeben worden. Du bist ein Dummkopf, aber du bist kein Feigling, und die Zeit wird Ersteres heilen, wenn du lange genug lebst. Um zu überleben”, fügte er hinzu, “
wirst
du diese Kerze entzünden.” Er beugte sich über den Tisch, während er sprach, und seine Hände – die Hände, die ihr so gewöhnlich erschienen waren – wurden länger.
    Sie kippte um. Oder eher der Stuhl tat es, sie rollte bereits auf dem Boden. Sie stand sofort wieder

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