Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
Vom Netzwerk:
zu werden.”
    Er zuckte mit den Schultern. “Es braucht nur das Wort des Falkenlords.”
    Damit hatte er natürlich recht. Sie verfluchte den Falkenlord in allen sieben Sprachen, die sie beherrschte. Was nicht viel zu heißen hatte, sie konnte nur vier von ihnen einigermaßen sprechen. Aber sie war Falke genug, um in den anderen dreien wichtige Wörter aufgeschnappt zu haben, auch wenn keine davon für die Ohren von Kindern oder Politikern geeignet waren.
    Sprachen waren ihre
einzige
akademische Begabung. Sie war in fast jeder anderen Klasse, zu der man sie gezwungen hatte, durchgefallen. Lord Grammayre war damit so tolerant umgegangen wie ein enttäuschter Elternteil, und sie hatte sich mehr Predigten darüber anhören müssen, dass sie sich mehr anstrengen sollte, als ihr lieb war. Wenigstens ein Drittel davon hatte aerianisch geklungen, so wütend war er gewesen. Es war seine Gewohnheit, formelles Barrani zu sprechen, wenn er sich an die Falken wendete, auch wenn er zu Elantranisch, der Sprache der Menschen, wechseln konnte, wenn er sehr frustriert war.
    “Der Kristall”, sage Tiamaris.
    Sie hatte alle Zeit geschunden, die ihr möglich gewesen war. Mit zusammengebissenen Zähnen – was Severn zum Lachen brachte – legte sie ihre linke Handfläche über den Stein. Zwischen ihren Händen gefangen fing der Stein an, zu pulsieren. Sie spürte seinen Schlag und ließ den Kristall fast fallen, als er anfing, wärmer zu werden, und die Wärme zu Hitze wurde, und die Hitze zu etwas, was kaum weniger brannte als Feuer.
    Sie hatte schon früher Feuer berührt und war davon berührt worden. Irgendwo hatte sie immer noch Narben davon. Aber sie sollte verdammt sein, wenn das bisschen Schmerz sich ihr in den Weg stellte. Nicht vor den zwei anderen.
    Der Kristall pulsierte weiter. Sie spürte es und konnte fast das Muster seines anhaltenden Trommelns erkennen. Nach einem Augenblick merkte sie warum; es war langsamer geworden und hatte sich ihrem Herzschlag angepasst.
    Der sowieso schon zu laut war.
    “Los geht’s”, sagte sie leise.
    Kaylin.
    Die Stimme des Falkenlords war unverwechselbar. Sie entspannte sich und hörte zu. Die Worte klangen ruhig und fast angenehm. Eine aerianische Stimme.
    Kaylin, werde Zeuge.
    Der Raum begann zu verschwimmen, und vor ihren Augen breiteten sich die Kolonien aus. Sie konnte die Grenzen erkennen, die die kriminellen Provinzen umzäunten, die umgangssprachlich als Kolonien bezeichnet wurden. Sie lagen am westlichen Flussufer und vereinnahmten alles bis auf die Hafenverwaltung bei den alten Docks. Der Blick kam von hoch oben, jemand war dieses Stück des Weges geflogen. Jemand hatte den entsiegelten Kristall gehalten, sich damit verbunden, und ihn mit Bildern, dem Ausblick und Faktenwissen gespeist.
    Grammayre? Sie konnte sich nicht sicher sein.
    Die Lords der Gesetze waren die vollstreckende Faust des Kaisers. Ihre Existenz hing von seinen Launen ab, und sie schuldeten ihm Treue. Dieser Wahrheit sah sie seit sieben Jahren jeden Tag ins Auge. Die Falken, die Wölfe und die Schwerter waren keine Soldaten, sie waren kein Teil der kaiserlichen Armee.
    Dennoch war es ihnen vom Gesetz her gestattet, Waffen und Rüstungen zu tragen. Auf ihre eigene Art bewahrte jede Gruppe die Gesetze der Stadt Elantra. Und wenn das nicht Krieg bedeutete, dann wollte sie keinen erleben. Niemand mochte die Wachen, die den Lords der Gesetze dienten, aber es wagte auch fast niemand, sich ihnen entgegenzustellen. Nicht außerhalb der Kolonien.
    Und in den Kolonien?
    Ein alter Schmerz verzog ihre Miene. Sie schloss die Augen, doch der Kristall hielt ihren Blick gefangen. Sie beobachtete, wie die Kolonien näher kamen, bis sie unverkennbar waren. Sie sah die Grenzen, hinter denen die Lords der Gesetze kaum noch herrschten, kaum noch Macht hatten, und diese Macht auch nur auf dem Papier.
    Die Armeen hätten sich mehr Macht verschaffen können, aber der Kaiser gestattete ihnen nur selten einen Feldzug in
seiner
Stadt.
    Und so bestanden die Kolonien fort.
    Und in den Kolonien bestand die Sklaverei fort, die vor eineinhalb Generationen abgeschafft worden war, auch wenn sie nicht mehr so genannt wurde. Ganze Herrenhäuser, opulente, goldene Villen, öffneten Besuchern ihre Türen, und hinter diesen Türen konnten die Reichen alles kaufen. Einen illegalen Augenblick des Entkommens in den von Rauch durchzogenen Räumen der Opiate … einen Augenblick der Ekstase in den privaten Empfangsräumen der Prostituierten. Und hier

Weitere Kostenlose Bücher