Kaylin und das Reich des Schattens
Lippen so nennen konnte – und verbeugte sich.
Ybellines Lächeln war unendlich eleganter und hätte auf jedem anderen Gesicht den ganzen Raum erhellt. Oder zehn. Im Grunde wäre sie ohne diese verdammten Stängel einfach hinreißend. Ihr Haar war von blassem Gold, ihre Augen hatten die Farbe von dunklem Honig, und ihre Haut – so wenig davon auch nicht von kaiserlichem Rot bedeckt war – zeigte keine Narben und Blutergüsse. Sie konnte fast mit den Barrani mithalten, und das konnte man nur von sehr, sehr wenigen Sterblichen sagen.
Allerdings verging ihr Lächeln, als es Kaylin einfach nicht gelang, es zu erwidern. Die Verbeugung fiel knapp und formell aus, und danach wendete sich die Tha’alani sofort wieder Tiamaris zu, den alle drei Drachen Lord nannten.
“Müssen die Menschen sein?” Lord Diarmats Stimme war etwa so freundlich, wie Kaylins Lächeln es gewesen war.
“Sie sind meine Zeugen”, entgegnete Tiamaris in gemessenem Tonfall. “Aber hier ist nicht der richtige Ort für dieses Gespräch.”
“In der Tat. Es scheint, als hätte ein Ereignis in den Kolonien das Interesse des Arkanums erregt.”
“Die Gesetzeslords hielten es für angebracht, das Arkanum um Rat zu bitten”, antwortete Tiamaris, der sich jetzt auf vertrautem Gebiet befand. “Und da sie auf Geheiß des Kaisers gekommen sind, denke ich nicht, dass es mir zusteht, ihre Anwesenheit zu kritisieren.”
“Wie Ihr meint. Und welcher Raum in diesem Gebäude wäre geeigneter?”
“Das Westzimmer”, hörte Kaylin sich sagen.
Tiamaris warf ihr einen Blick zu.
“Aber wir haben ein verletztes Kind, und wir würden sie wirklich gern zu ihrer – ihrer Rudelmutter zurückbringen.”
“Das Kind ist nicht von Belang für uns –”
“Lord Diarmat”, sagte Ybelline mit sanfter Stimme und … weiblicher Miene. Es sah für Kaylin falsch aus. “Ich halte es für das Beste, wenn das Kind untersucht wird. Wenn ihre Schutzbefohlenen uns die Erlaubnis erteilen –”
“Marrin von den Findelhallen ist ihre Schutzbefohlene.”
“Dann werde ich dafür sorgen, dass ihr kein Leid zugefügt wird und dass sie dasselbe Kind bleibt, das sie vor ihrer Entführung gewesen ist.”
“Ich will nicht –”
“Kaylin.” Severn trat ihr auf den Fuß. “Genau das wird geschehen. Wenn du gegen sie kämpfst, machst du dem Mädchen nur Angst. Sonst änderst du nichts. Es gibt schlimmere Tha’alani als diese. Komm. Zum Westzimmer.”
Marcus und Lord Grammayre schlossen sich ihnen an. Den Ersten wollten die Drachen hinauswerfen – natürlich nur mit Worten – und den Letzteren schienen sie ohne Vorbehalte zu akzeptieren. Es war im Westzimmer viel weniger frostig, als es im Büroraum gewesen war, auch wenn Kaylin ob der angeregten Gespräche – keiner – nicht sagen konnte, warum.
“Kaylin.” Die Flügel des Falkenlords waren gerade so weit ausgebreitet, dass sie Spannung andeuteten.
Sie verbeugte sich und achtete dabei darauf, es besonders perfekt zu tun.
“Es scheint, dass du in deiner Freizeit fleißig gewesen bist. Ich werde dir keine Vorwürfe machen. Das Kind?”
“Sie ist verletzt.”
“Gezeichnet?”
Kaylin schluckte und nickte.
Er wendete sich an die Tha’alani. “Das Kind schläft. Ich glaube, es ist am besten, es nicht zu wecken. Könnt Ihr das bewerkstelligen?”
“Ja, Lord Grammayre.”
“Tiamaris?”
“Das Kind scheint nicht unter magischem Einfluss zu stehen”, entgegnete der Drache, als würde er einen Bericht abliefern. “Sie scheint auch keinem aktiven Bann zu unterliegen.”
“Gut. Ybelline?”
Die Tha’alani nickte dem Falkenlord anmutig zu. Sie übersah, wie Kaylins Körper sich anspannte, als sie Catti näher kam, und sogar die Hand, sie sich ihr um den Arm legte.
Marcus allerdings knurrte eine Warnung. Sie klang nicht gut.
Auch Kaylin konnte viele Dinge übersehen, aber nicht mit der gleichen Anmut wie die Tha’alani. Sie antwortete in einer kurzen leontinischen Phrase und ließ los.
Die Stängel fingen an sich zu bewegen und verlängerten sich, als Ybelline sich hinabbeugte. Das Beugen war eigentlich unnötig, sie musste es getan haben, damit Kaylin sich weniger unwohl fühlte. Es funktionierte nicht, aber Kaylin tat ihr Bestes, um die Geste zu schätzen zu wissen.
Sie wusste, dass sie den Atem angehalten hatte, denn sie stieß ihn aus – laut –, als die Stängel Cattis Stirn berührten. Severn strich ihr einige Strähnen ihrer roten Haare aus dem Gesicht und schob Catti sanft näher an
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