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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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die Tha’alani heran.
    Die Frau schloss die Augen. Minuten vergingen. Cattis Gesicht verzog sich zu einem kleinen Lächeln. “Sie mag dich”, sagte Ybelline, und Kaylin starrte sie an.
    “Ja, du bist gemeint”, sagte Severn.
    “Sie vertraut dir”, fuhr die Tha’alani fort.
    “Tut das etwas zur Sache?”
    Severn, der das Kind immer noch in seinen Armen hielt, trat Kaylin auf den Fuß. Kaylin versuchte, den Mund zu halten, sie kannte die Regeln. Man durfte die Untersuchung einer Tha’alani nicht mit Worten unterbrechen. Anscheinend lenkte es sie ab.
    “Archiv”, sagte Lord Grammayre. “Ybelline, wir müssen sehen, was dem Kind widerfahren ist. Sie ist das einzige überlebende Opfer, und diese Untersuchung ist von unschätzbarem Wert für unsere Versuche, ihre verhinderten Mörder zu finden.”
    Ybelline nickte.
    Und Kaylin nickte ebenfalls unglücklich. Sie hatte gewusst, was passieren würde. Natürlich hatte sie es gewusst. Sie hatte sich nur nicht erlaubt, auch daran zu denken.
    “Catti würde es ihnen erzählen”, sagte Severn zu Kaylin, und nur zu Kaylin. “Sie möchte ein Falke werden. Sie will wie du sein.”
    “Catti ist nur ein Kind –”
    “Nicht mehr lange. Falls sie es noch ist. Sie schläft, Kaylin. Sie muss das Erlebte nicht noch einmal durchmachen. Wenn du sie aufweckst, um dir ihre Erlaubnis zu holen, muss sie es eben doch.”
    Kaylin sagte nichts mehr. Aber nicht für lange. “Severn – wenn ich sie wäre, würde ich die Wahl haben wollen.”
    “Du bist kein Kind. Du bist nicht Catti. Lass es.”
    “Es sind
ihre
Erinnerungen.”
    “Nicht alle Erinnerungen sind gut.”
    “Ich würde nicht wollen –” Sie verstummte, als Marcus knurrte.
    Sanabalis lachte leise. “Tiamaris”, sagte er, entgegen der Abmachung, “wie ich sehe, hast du dich in Geduld geübt, seit ich dir das letzte Mal ein Lehrer sein konnte.”
    Er wurde dafür von zwei Menschen mit wütenden Blicken und von einem Leontiner mit einem Lachen bedacht.
    Ybelline stand weiterhin über Catti gebeugt. Ihre Hände hatte sie neben ihrem Gesicht abgelegt. Es war Ybellines Gesicht, das sich vor Schmerzen verzog. Catti schlief weiter friedlich. Und Kaylin, die zusah, spürte zum ersten Mal den Anflug von etwas anderem als wütendem Hass für die Tha’alani. Sie hatte sie nur selten beim Arbeiten beobachtet, und einmal war es ihre eigene Erfahrung mit ihnen gewesen. Aber auch dabei hatte sie nie ihren Gesichtsausdruck gesehen.
    Er zeigte gerade jetzt eine Mischung aus Schmerz und etwas wie Freude. “Du bist angekommen”, flüsterte Ybelline, und auch ihre Stimme trug beide Gefühle in sich. Sie brach den Kontakt nicht ab, und sie sprach kein weiteres Wort.
    Sie warteten stumm, Severn, Kaylin und Tiamaris, und erinnerten sich so gut sie konnten an den schnellen, dunklen Kampf im alten Wachturm.
    Doch als Ybelline endlich einen strauchelnden Schritt zurücktrat, war Kaylin es, die die Hände nach ihr ausstreckte, Kaylin, die sie auffing – und Kaylin hatte in ihrem ganzen Leben noch keine Tha’alani freiwillig berührt.
    Sie wusste das natürlich, die Tha’alani spürten schlichte Gedanken auch bei so oberflächlichem Kontakt. Die Tentakel waberten in der Luft, doch sie blieben kurz vor der Berührung stehen, und Ybellines honigfarbene Augen öffneten sich.
    “Kaylin”, sagte sie, mit nur dem Hauch einer Frage in den zwei Silben.
    “Ihr – ich dachte, Ihr würdet hinfallen”, war die armselige Antwort.
    “Die Erinnerungen der Jugend sind bleich”, entgegnete Ybelline, “und in diesem Fall bitter.”
    “In jedem Fall.” Sanabalis’ Stimme war gelassen, seine Augen golden. “Die Tha’alani werden nur selten gerufen, wenn die Erinnerungen friedlich und froh sind.” Er verbeugte sich vor Ybelline. “Du hast Angst”, sagte er zu Kaylin, “vor dem, was die Tha’alani in dir sehen, wenn sie dich berühren. Hast du dir nie überlegt, dass sie nicht weniger Angst haben? Es wirft immer einen Schatten auf sie. Und es verwundet sie. Nur wenige der Tha’alani können lange unter den Tauben dienen.”
    “Tauben?”
    Er seufzte. Es war wie ein Windstoß.
    “Sanabalis”, sagte Ybelline mit kühler Stimme, “das war sehr unhöflich.”
    Er zuckte mit den Schultern. Kaylin bemerkte, dass sie Tiamaris nie so hatte mit den Schultern zucken sehen. “Das ist sie auch.”
    Ybelline begann zu sprechen, und Kaylin – die sie immer noch an den Armen hielt – schloss ihren Griff fester. “Verteidige mich nicht”,

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