Kaylin und das Reich des Schattens
sagte sie. “Es stimmt. Ich kann damit umgehen.”
“Angst macht einen nie zu einer freundlicheren Person”, entgegnete Ybelline.
“Neid auch nicht. Kannst du nicht
bitte
ein bisschen weniger anmutig sein?”
Die Tha’alani lachte, und wenn ihr Lächeln schon den ganzen Kaiserpalast erhellen konnte, ihr Lachen war doch noch besser. Oder schlimmer, je nachdem, wie schuldig man sich gerade fühlte. Kaylin fühlte sich zwischen beidem gefangen. Sie lockerte ihren Griff langsam, sah Ybelline in die Augen, es gelang ihr, beim Anblick der Stängel nicht zusammenzuzucken. “Wenn ich mich je wieder den Tha’alani stellen muss, kann ich dann dich rufen?”
“Ich unterstehe dem Kaiser”, war die ruhige Antwort, “aber soweit ich meine Aufgaben selbst wählen kann, ja.”
“Das ist zu viel der Ehre”, sagte Sanabalis.
“Sie hat das Kind gerettet”, war die gelassene Antwort.
“Nicht allein.” Am Ende dieser Worte veränderte sich Sanabalis’ Stimme, und er wendete sich von Kaylin, von Ybelline und von jedem im Raum ab, der nicht Tiamaris war.
“Kaylin”, sagte Marcus in perfekt betontem Leontinisch. “Nimm Catti. Und Severn. Raus mit euch.”
Während er sprach, traten Lord Diarmat und Lord Emmerian auf Tiamaris zu. Tiamaris bewegte sich nicht. Und Kaylin hatte dieses plötzliche schlechte Gefühl, ein bisschen, als würde einem das Mittagessen wieder hochkommen, nur ohne den Dreck.
“Das Zimmer ist nicht groß genug”, sagte sie zu niemandem Bestimmten.
“Für was, Kaylin?”, fragte Sanabalis.
“Einen Drachen, geschweige denn vier.”
Lord Diarmat runzelte die Stirn. “Tiamaris.”
Tiamaris sah Kaylin an und hob eine Augenbraue.
“Wir müssen bleiben. Nein”, fügte sie nach einer Pause hinzu, “ich muss bleiben. Severn, bring Catti nach Hause.”
“Ich gehe nicht ohne dich.
Wir
können Catti nach Hause bringen.”
“Wir sind seine Zeugen. Deshalb hat er uns gerufen. Und er sagt nie etwas ohne Grund.”
“Sehr gut”, entgegnete Sanabalis, “sie ist nicht gänzlich hoffnungslos, Tiamaris.”
“Ich habe nie
gänzlich
gesagt.”
Kaylin warf ihm einen düsteren Blick zu, aber ihr Herz steckte nicht dahinter. “Als du – als es passiert ist”, sagte sie und vermied, was plötzlich zu einem gefährlichen Wort geworden war, “haben die anderen es gespürt?”
“Der ganze kaiserliche Palast hat es gespürt”, antwortete Lord Diarmat.
“Soll heißen die Drachen.”
“Soll heißen, wie du es so liebenswert ausdrückst, die Drachen.”
“Wie?”
“Das geht dich nichts an.”
“Doch, das tut es. Ich war ja dabei.”
“Kaylin”, sagte Sanabalis. Er streckte langsam seine Hand aus, aber er täuschte sie keinen Augenblick: Als er ihren Arm berührte, war sein Griff hart wie Stahl. “Wie oft hast du einer Verwandlung beigewohnt?”
“Noch nie.”
“Noch nie?”
“Ich glaube, daran würde sogar ich mich erinnern. Ohne Hilfe”, fügte sie mit einem Seitenblick auf Ybelline hinzu. “Das ist doch kein großes Geheimnis, oder?”
“Hast du es erwartet?”
Sie setzte zu einer schneidenden Antwort an, aber es gelang ihr, den Mund zu halten, ehe sie herausplatzte: “Das nicht.”
“Warum?”
“Weil ich in Interaktion zwischen den Rassen durchgefallen bin.”
“
Und
in Magie?”
Sie gab es auf, so zu tun, als wäre sie klug. Oder so zu tun, als wüssten die Drachen nicht, dass sie es nicht war. “So ziemlich.”
“Kaylin”, fragte Severn, beide Augenbrauen leicht gehoben, “hast du überhaupt irgendetwas bestanden, was nicht praktisch war?”
“Barrani.”
Er verdrehte die Augen. Aber seine Narbe war weißer, als sie je gewesen war, und hätte er nicht Catti in seinen Armen gehalten – immer noch –, sie war sich sicher, seine Hände lägen in der Nähe irgendeiner Waffe. Es fiel ihr selbst verdammt schwer, nicht auch zu ihren Dolchen zu greifen.
“Dieser besondere Teil der Drachenkultur wird in solchen Lektionen nicht gelehrt”, sagte Lord Grammayre. Er streckte seine Flügel aus und legte sie an. Es war beunruhigend.
“Ich nehme an, es ist nicht ganz legal?”
“Es wird vom Kastenlord nicht wohlwollend betrachtet, nein.” Lord Diarmat runzelte die Stirn. “Was Tiamaris wohl weiß.”
“Und Ihr seid hier um – um –”
“Sie sind hier, um mich zu beurteilen”, antwortete Tiamaris. “Das ist alles.”
“Und wenn du durchfällst?”
“Dann werde ich als Ausgestoßener verurteilt.”
“Du hast gesagt, es gibt keine – oh.”
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