Kaylin und das Reich des Schattens
dass der Lord der Falken einen Befehl von einem ehemaligen Schattenwolf befolgen würde. Obwohl, wenn man bedenkt, wie gelassen er auf deine Verspätung reagiert hat, muss er wohl ein verdammtes Stück toleranter sein, als der Lord der Wölfe es gewesen ist.”
“Probier es aus.”
Er lachte wieder. “Noch nicht, kleine – wie hat er dich genannt? Kaylin? Noch nicht.”
Der Lord der Falken beobachtete sie mit dem scharfen Blick seines Namensgebers.
“Ihr wollt uns in die Kolonien schicken”, sagte sie schließlich und versuchte, ihre Stimme nicht anklagend klingen zu lassen.
“Ja. Es ist sieben Jahre her, Kaylin. Lange genug.”
“Lange genug für was? Drei der Koloniallords sind ausgestoßene
Barrani
– ich könnte schon tot sein, ehe einer von denen blinzelt!”
Der Falkenlord wendete ihr seine ganze Aufmerksamkeit zu. “Ich glaube, ich habe es mit der Toleranz übertrieben”, sagte er schließlich, und in einer Stimme, die sie nicht mehr gehört hatte, seit sie zum ersten Mal im Turm angekommen war. “Entweder du bist ein Falke, oder du bist es nicht. Entscheide selbst.”
Ihre Stille reichte knapp als Antwort aus. “Der dritte Mann wird sich jetzt zu uns gesellen.”
Die Tür, die sich wahrscheinlich sofort geschlossen hatte, nachdem Kaylin ganz über ihre Schwelle getreten war, schwang wieder auf.
Ein Mann betrat den Raum. Er trug keine Rüstung, die sie unter den großzügigen Falten seines perfekt sitzenden Umhangs hören konnte. Ihr Gehör war schon immer gut gewesen. “Lord Grammayre”, sagte er und verbeugte sich tief.
“Tiamaris”, antwortete der Falkenlord. “Ich würde Euch gern Kaylin und Severn vorstellen. Ihr arbeitet mit ihnen zusammen.”
Der Mann richtete sich auf. Seine Haare waren tiefschwarz – barranischwarz – aber für einen Barrani hatte er den vollkommen falschen Körperbau. Er war etwas größer als Teela, und etwa doppelt so breit. Vielleicht dreimal. Seine Hände waren leer, und er trug keine sichtbaren Waffen. Auch kein Medaillon. Die Hand, die er zum rituellen Gruß mit der Handfläche nach außen hob, war glatt und schmucklos.
Kaylin und Severn konnten die Hand nicht zum Gegengruß heben – aber ihre Vergangenheit in den Kolonien hatte die Geste auch noch nicht automatisch werden lassen. Lord Grammayre hatte diesen Nachteil nicht, er hob seine beringte Hand zum Gruß und senkte sein Kinn ein Stück.
“Tiamaris kennt sich in den Kolonien ein wenig aus”, sagte er an sie beide gewandt. Tiamaris senkte seine fehlerlos erhobene Hand und wendete sich ihnen ebenfalls zu.
Etwas an den Augen des Mannes stimmte überhaupt nicht, und Kaylin brauchte einen Augenblick, bis ihr klar wurde, was es war. Sie waren orange. Ein tiefes, leuchtendes Orange, das manchmal wie Rot oder Gold aussah. Ihre eigenen Augen fielen ihr fast aus dem Kopf.
“Du hast das Privileg”, sagte Lord Grammayre leise zu ihr, “das einzige Mitglied der Drachenkaste kennenzulernen, das sich je dafür beworben hat, den Hallen der Gesetze zu dienen.”
Severn erholte sich zuerst. Er lachte. “Dann stimmt es also”, sagte er zu niemandem Bestimmten.
Das wurmte sie. “Als würdest du die Wahrheit erkennen, wenn sie dir in den Hintern beißt.”
“Du bist wirklich ein Chaosfaktor.”
“Nein, Severn”, sagte der Falkenlord sanft. Zu sanft. Wenn irgendjemand anders gesprochen hätte, hätte Kaylin einen warnenden Tritt gewagt.
Sie hoffte stattdessen, dass Severn sich noch weiter reinritt.
Severn verstummte.
“Die Falken sind schon immer offen gewesen für alle, die den Dienst unter dem Banner des kaiserlichen Gesetzes suchen. Wo Dienst angeboten wird, wird er angenommen, und zwar von jedem, der ihn bietet. Tiamaris hat sich entschlossen, dieses Angebot zu machen, und es wurde von den Drei Türmen akzeptiert. Und vom Kaiser selbst. Wenn die Wölfe andere Kriterien haben, nach denen sie ihre Bewerber annehmen, dann geht das nur den Lord der Wölfe etwas an; wenn die Schwerter sich dafür entschieden haben, nur die sterblichen Rassen zu beschäftigen, dann ist das gleichermaßen nur die Sache
ihres
Lords.
Es wäre mir selbstverständlich eine Freude, euch jetzt eure Mission zu erklären. Aber ich habe wertvolle Stunden in diesem Turm verschwendet, und es gibt noch andere Pflichten, denen ich mich widmen muss. Die Lords der Gesetze treffen sich in einer halben Stunde.” Er griff in die Falten seines Umhangs und zog einen großen Edelstein heraus.
Sogar Kaylin konnte sehen, wie er
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