Keeva McCullen 3 - Invasion der Ghule (German Edition)
komm!“, flüsterte der alte Mann, schulterte seinen zerschlissenen Rucksack und ging langsam zu der Kapelle, die heute – wie schon in den Wochen zuvor - sein Schlafplatz sein würde. Der Hund sprang auf und folgte ihm.
Nach wenigen Minuten erreichten sie das halb verfallene Gebäude. Charlie musterte die mit Moos und Schlingpflanzen überwucherten Mauern. Auch wenn die Kapelle so aussah wie die Kulisse für einen Horrorfilm, so war sie für ihn doch ein Ort des Friedens und der Ruhe.
Der alte Obdachlose hatte bereits vor vielen Jahren gelernt, dass man vor den Toten keine Angst zu haben brauchte. Sie taten einem nichts. Oh, vor den Lebenden musste man sich in Acht nehmen, kein Zweifel - doch zwischen diesen Gräbern, in denen manche der Verstorbenen schon seit Jahrhunderten ruhten, fühlte Charlie sich sicher.
Er schlüpfte durch eine hölzerne Tür, die nur noch lose in ihren Angeln hing. Die Decke des großen Raumes, in den er trat, war zur Hälfte eingestürzt – doch im hinteren Bereich war das Dach noch dicht und der Boden trocken. Dort hatte Charlie bereits die letzten Nächte verbracht und dorthin ging er auch jetzt.
Er breitete seinen dicken, schmutzigen Schlafsack auf den Steinen aus, zog eine Flasche billigen Fusel aus dem Rucksack und setzte sich hin. Nachdem er einen tiefen Schluck aus der Flasche genommen hatte, lehnte er den Kopf an die Mauer und schloss die Augen.
Wie friedlich es hier war... Er war froh, dass er diesen Platz entdeckt hatte.
Normalerweise kostete es Eintritt, wenn man den Friedhof betreten wollte. Und Hunde waren eigentlich auch nicht erlaubt. Doch Charlie lebte nicht umsonst bereits seit vielen Jahren auf der Straße. Er hatte schon lange gelernt, sich so gut wie unsichtbar zu machen – und auf diese Weise sogar unbemerkt durch bewachte Absperrungen zu huschen.
Lediglich beim abendlichen Rundgang der Wachen war es wichtig, nicht entdeckt zu werden - und morgens musste er natürlich ebenfalls rechtzeitig wieder von der Bildfläche verschwinden. Zudem achtete er peinlich genau darauf, keine Spuren, die auf seine nächtlichen Anwesenheit hindeuten könnten, zu hinterlassen - denn würden die Leute vom Friedhof erst darauf aufmerksam, dass ein Penner hier regelmäßig schlief – nun, dann wäre für ihn ziemlich schnell Schluss mit der beschaulichen Nachtruhe und sie würden ihn konsequent vertreiben.
Doch bisher schien keiner etwas von seiner regelmäßigen Anwesenheit zu ahnen, und so konnte Charlie den Frieden und die Einsamkeit, die hier herrschte, genießen.
Snow legte sich neben ihn, war aber noch ziemlich unruhig. Er hob ständig den Kopf und betrachtete die Umgebung. Charlie kramte in seiner Tasche und legte dem Hund ein Stück Wurst hin, das er vorhin aus einem Mülleimer gefischt hatte. Das Tier schnüffelte daran, interessierte sich dann aber nicht weiter dafür. Also nahm der alte Mann die Wurst, wischte sie kurz ab und aß sie selbst. Nur nichts verkommen lassen, war seine Devise. Und wählerisch brauchte man auch nicht zu sein, wenn man so ein Leben führte wie er.
Snow sprang auf und lief nervös in der Kapelle hin und her. Er schnüffelte an jeder Ecke und blieb schließlich vor der Tür nach draußen stehen, drehte den Kopf und sah sein Herrchen fragend an.
„Willst du wieder Eichhörnchen jagen?“, sagte Charlie freundlich. „Na, dann, ab mit dir. Aber komm rechtzeitig vor dem Dunkelwerden zurück!“
Der Hund bellte einmal kurz, wedelte mit dem Schwanz und war kurz darauf verschwunden.
Charlie lächelte und gönnte sich noch einen tiefen Schluck aus der Flasche. Erneut schloss er die Augen, entspannte sich - und wartete darauf, dass die Nacht hereinbrechen würde.
*
„Was für ein Dämon war dein Großvater“, fragte Keeva.
Shane fiel auf, dass sie in der Vergangenheitsform von Theobald Truax sprach. Anscheinend ging sie davon aus, dass er nicht mehr lebte. Gut, dachte er. So war sein Großvater wenigstens vor der Enttarnung geschützt – vorerst.
„Ein Metamorph, also ein Gestaltwandler“, antwortete er.
Sie saßen schon eine ganze Weile in einem gemütlichen Pub nahe Shanes Wohnung. Seine anfängliche Beklommenheit hatte sich schnell gelegt: Keeva war freundlich und aufgeschlossen, zeigte ehrliches, ungekünsteltes Interesse an ihm. Er fand sie nett.
„Das ist eine Dämonenart, die ihre äußere Gestalt ändern kann“, erklärte er.
Keeva unterbrach ihn mit breitem Grinsen: „Ich weiß, was ein Metamorph ist.“
Er grinste
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