Kehraus fuer eine Leiche
ich muss damit rechnen, dass sich auch irgendwelche Tiefbauarbeiter mal in die Einkehr verirren. Snobismus kann ich mir nicht leisten.
Später sitze ich müde, aber froh über den erfolgreichen Abend bei einem letzten Glas Wein in meinem belgischen Bruchsteinhaus vor dem Kaminofen und träume von meinem künftigen Whirlpool.
Sehr bedauerlich, dass nur ein Weinglas auf dem Eichentisch steht. Warum lässt sich Marcel nicht blicken? Beschäftigt ihn der Steffen-Meier-Mord auch am Wochenende so sehr, dass er nicht einmal anrufen kann?
Ich hebe das Glas an den Mund. Ein Schemen taucht draußen am Fenster auf. Eine Hand klopft gegen die beschlagene Scheibe. Vor Schreck fällt mir fast das Glas aus der Hand.
»Komm mal raus, Katja«, höre ich Marcels gedämpfte Stimme.
Ich schlurfe zur Tür. Mit einem Kommando habe ich mir den Ausklang des Tages nicht vorgestellt. Leider hat Marcel auch mein einzahniges Körpertier aufgeweckt. Ich versuche es mit sanftem Streicheln zu zähmen.
Der Motor des belgischen Polizeijeeps läuft, und die Fahrertür steht sperrangelweit offen.
»Du musst flott mitkommen und dir was ansehen«, drängt er ohne weitere Begrüßung.
Wie in Trance öffne ich die Beifahrertür. Wäre ja auch zu schön gewesen, ein Tag ohne wirkliche Katastrophe.
»Etwa noch eine Leiche?«, frage ich bissig.
»Nein. Das heißt ja, aber die musst du dir nicht ansehen. Die ist schon weg.«
Wir fahren von Belgien über die deutsche Bundesstraße wieder nach Belgien hinein. Der Waldrand hinter dem Kreisel auf Losheimergraben ist taghell erleuchtet. Im Scheinwerferlicht steht ein schlammgrüner Geländewagen mit Kölner Kennzeichen.
»Das ist er doch. Oder nicht?«, fragt Marcel.
Stumm verfluche ich meine Unaufmerksamkeit.
»Möglich. Beschwören kann ich es nicht. Wem gehört der Wagen?«
»Wem hat er gehört, wäre die richtigere Frage. Die Kölner Kollegen behaupten, der Besitzer wäre ein Bekannter von Steffen Meier gewesen.«
»Und ist jetzt genauso tot wie der.«
»Du sagst es.«
»Auch erstochen?«
»Nein. Diesmal ist deine japanische Mordwaffe unschuldig. Er ist nach einem Gerangel neben dem Wagen niedergeschossen worden. Möglicherweise mit seiner eigenen Pistole. Dafür spricht die leere Pistolentasche auf dem Beifahrersitz. Eindeutig kein Selbstmord, denn die Waffe ist futsch. Und auf dem Rücksitz haben wir einen Baseballschläger gefunden.«
»Jeder Mensch verliert hundert Hautschuppen in der Stunde«, murmele ich.
Marcel sieht mich mit einer gewissen Bewunderung an.
»Genau«, sagt er, »und so viele brauchen wir nicht einmal, für herauszufinden, ob dieser Mann beim Kampfmittelräumdienst David niedergeschlagen hat.«
Ich muss nicht auf Davids Alibi hinweisen. Eine Melodie drängt sich mir auf. Der dritte Mann. Jetzt ist es endgültig vorbei mit dem beschaulichen Landleben, mit der Konzentration auf lebenserhaltende Nahrungsaufnahme im Gourmetlokal.
Nahe der Kehr läuft wieder einmal ein Killer herum.
10_ÜBERRASCHUNGEN
Die Nacht zum Sonntag
Marcel fährt mich zu meinem Haus zurück.
»Es ist schon Sonntag«, trompetet er, als ich aussteigen will.
»Ja und?«
Er stellt den Motor aus. Somit erlöschen auch die Autoscheinwerfer, die ein ungnädiges Licht auf die renovierungsbedürftige Front meines belgischen Hauses geworfen haben.
»Da kann ich ausschlafen.«
»Etwa in meinem Bett?«
Er löst seinen Sitzgurt.
»Der Weg bis Sankt Vith ist weit. Und ich hatte einen sehr anstrengenden Tag.«
Ich höre meinen Hund hinter der geschlossenen Tür bellen, bleibe sitzen und sage: »Während ich im Restaurant vor lauter Langeweile nur Linus gestreichelt habe.«
Seine Hand greift nach meiner.
»Sag, dass das nicht wahr ist, Katja. Samstagabend und keine Gäste? Das ist ja furchtbar! Wir müssen mehr Werbung für dich machen, ich werde alles …«
Ich drücke die Hand.
»Nein, Marcel, es war knüppeldickevoll, und ich bin auch hundemüde.«
»Wirklich?«
»Natürlich bin ich müde.«
»Ich meine, war es wirklich voll? Oder sagst du das jetzt nur so?«
Sein ehrliches Interesse an meinem Geschäft reißt mich zu einer vermutlich folgenreichen Frage hin.
»Hättest du Lust auf einen Single Malt?«
Er steigt aus, geht um das Auto herum und öffnet mir die Beifahrertür mit einer tiefen Verbeugung.
Wäre es nicht so dunkel, würde ich wahrscheinlich ein großes Grinsen unter dem schief geschnittenen Schnurrbart sehen. Seit unserer ersten gemeinsamen Nacht vor fast zwei Jahren haben wir
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