Kehraus fuer eine Leiche
einen Moment lang schwanke ich. Nicht auf dem Stuhl, aber in meinem Entschluss. Es wäre einfach zu schön, den Whisky in seinem Schatten zu belassen und mich stattdessen jetzt in Marcels Arme hinuntergleiten zu lassen. Mit Küssen bedeckt von ihm ins Schlafzimmer getragen zu werden, wie die Frauen in den alten Filmschnulzen. Eine wunderschön normale Nacht mit meinem Freund zu erleben, anstatt diesen nach gewissen Regeln der Inquisition auszuhorchen.
Ich greife zur Flasche hinter den Blumenvasen.
Eine Frau meines Formats kann nicht geschmeidig in die Arme ihres schlank gebauten Liebhabers hinabsinken. Sie kann ihn höchstens unter sich begraben, wenn sie versucht, sich aus stehender Position elegant vom Stuhl fallen zu lassen. Danach muss sie ihn reanimieren, ihn selbst ins Schlafzimmer tragen und dafür sorgen, dass er den Schock überlebt. Für uns Dicke ist alles etwas komplizierter als für die zarten Elflein. Wir bedürfen gewisser Umwege. Diese werden nur im Hirn gegangen und fressen daher leider keine Kalorien von Gewicht.
»Gib mir eine Hand«, bitte ich Marcel und winke mit der Flasche. Er nimmt meine Krokodilhand und hilft mir erstaunlich galant und geschickt auf die Holzdielen zurück. Ich bin geneigt, meine vorgefasste Meinung zu revidieren. Vielleicht ist nicht alles eine Frage des Volumens. Vielleicht hätte ich mich bei Marcel tatsächlich einfach fallen lassen und mit ihm eine wundervolle Nacht verbringen können. Ich hätte doch nicht den Mann zermalmt, der sich bei Nahkampfübungen ausgezeichnet hat! Aber für malerisches Dahinsinken ist es jetzt zu spät. Zumal ich Marcel eine Menge neuer Entwicklungen verschwiegen habe. Die haben möglicherweise nicht unbedingt etwas mit dem aktuellen Fall zu tun, ganz ausgeschlossen ist es aber nicht. Alle hängen doch immer mit allen zusammen. Vor allem auf der dünn besiedelten Kehr.
Erst einmal möchte ich Zeit gewinnen.
»Also, es war ein richtig gelungener Abend«, plaudere ich über die Einkehr weiter, als ich im Wohnzimmer in einem ererbten breiten belgischen Möbel versinke und Marcel uns einschenkt. »Sieht ganz so aus, als hätte die Einkehr eine Zukunft. Prost.«
»Auf unsere Zukunft«, sagt Marcel lächelnd und stößt mit mir an. »Willst du mich heiraten, Katja?«
11_EINSICHT
Das verschlägt mir die Sprache. Ich weiß nicht, was sich in meinem Gesicht spiegelt. Vermutlich Entsetzen. Marcel beugt sich weit vor und klopft mir begütigend auf die Knie.
»Schon gut, schon gut«, murmelt er entschuldigend. Er lehnt sich wieder zurück, leert sein Glas und schenkt sich nach. Ich schweige immer noch. Marcel tut nie etwas Unüberlegtes. Warum also hat er mich so erschreckt? Ist das seine neueste Methode, um mich aus der Reserve zu locken? Ich glaube keinen Augenblick daran, dass dieser Antrag ernst gemeint ist. Dazu hat Marcel zu schlechte Erfahrungen mit der eigenen Ehe gemacht und ich mit den Ehen anderer. Wir lieben einander, aber unsere Eigenständigkeit lieben wir auch, vielleicht sogar noch mehr. Unser Verhältnis ist nicht aus dem Stoff gemacht, aus dem Ehen genäht werden. Er muss also mit einer Ablehnung gerechnet haben. Die mich in eine Verteidigungshaltung bugsiert und es mir erschwert hätte, ihn auszuhorchen. Mein Gott, kennt mich dieser Bulle gut. Wird ihm nur nichts nützen.
»Du brauchst nicht zu antworten.«
Ich verkneife mir ein Zu gütig und fange wieder an, Belangloses aus Küche und Gastraum zu erzählen.
Nach meinem zweiten Glas wage ich den ersten Vorstoß. Ich überrumpele Marcel mit der Nachricht von Davids verlorenem Sohn.
»Wieso erzählst du mir das jetzt erst?«, fragt er, beinahe so entsetzt wie über mein verspätetes Geständnis über das verschwundene Santoku-Messer.
»Du hast nicht danach gefragt.«
»Wie soll ich nach was fragen, von dem ich nichts weiß?«
»Das ging Gudrun ähnlich. Wie sie Regine Seifenbach angeschaut hat. Dein David. Und dann der Sohn. Ich dachte, Gudrun fällt uns auch noch ins Koma. Aber seitdem sie weiß, dass die Frau von ihrem Süßen nichts mehr will, verstehen sich alle prima.« Mit gewisser Wonne schleudere ich ihm einen seiner Lieblingssätze entgegen: »Aber das ist noch lange nicht alles.«
Marcel hatte während meiner Plauderei seinen geräumigen Sessel nah an meinen herangeschoben. Geräuschvoll rückt er wieder von mir ab.
Ich berichte von Pias Verschwinden und Daniels Mantrailer-Aktion. Mache eine Pause, schütte uns beiden noch einen, wie der Eifeler sagt, und
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