Kehraus fuer eine Leiche
entlässt ein kleines weißes Stückchen Spitzenstoff. Selbst zusammengebunden ist seine eigentliche Form für mich unverkennbar. Patti muss eine gewaltige Wut auf ihre Schwester haben; sonst hätte sie sich zu einer solchen Geschmacklosigkeit nicht hinreißen lassen. Ich blicke kopfschüttelnd zum Fenster hinauf, während Daniel auf den Stoff zuhechtet und ihn auffängt, bevor er vom Erdboden kontaminiert werden kann.
Was er in der Hand hält, erkennt er offenbar erst, als er das verknüllte Bündel mit spitzen Fingern auseinanderzieht. Mit offenem Mund betrachtet er das Ergebnis aus einer Nähe, die glatt seiner eigenen Nase erlauben würde, die Trägerin aufzuspüren. Ich erahne, welche Verwirrung sich des verliebten Knaben gerade bemächtigt hat.
Eine gellende Stimme an der Hausecke reißt uns aus unserer jeweiligen Betrachtung. Der Stoff segelt zu Boden. Was jetzt nicht weiter schlimm ist, da der Schrei von der Besitzerin selbst stammt.
Pia ist wieder da. Äußerlich unversehrt steht sie neben ihrem Vater an der Hausecke. Ich atme tief durch. Halte bei ihren Worten aber gleich wieder die Luft an. Traue meinen Ohren nicht.
»Du ekliger Flachpinsel«, schreit das Mädchen Daniel an. »Was machst du da mit meiner Tittentüte?«
Mit wutverzerrtem Gesicht will sie sich auf Daniel stürzen, aber der eiserne Griff ihres Vaters hält sie zurück. Wie ein Rohrspatz keift sie weiter. Die unflätigen Ausdrücke, mit denen sie den armen Jungen überzieht, verschlagen mir den Atem. Wo ist das verschüchterte Kind geblieben, das mir Hühner zur Adoption angeboten hat? Wo hat das übermäßig behütete Mädchen eine derartig ordinäre Sprache aufgeschnappt? Ich wundere mich, dass Herr Pee nicht eingreift und ihr den Mund verbietet. Vermutlich wird sie ihn später mit reichlich Seife auswaschen müssen. Sobald sich ihr Vater von dem gleichen Schock erholt hat wie ich. Aus seinem schlohweiß gewordenen Gesicht ragt die Habichtsnase noch prominenter als sonst hervor.
»Geh mit deinem Arsch Gassi, du untervögelter Zellhaufen!«, belfert Pia weiter.
Daniel flüchtet um die Ecke. Die beiden Hunde rennen hinterher.
Die Ausreißerin ist also eingefangen worden. Ob aber damit alles wieder gut ist, wage ich zu bezweifeln. Verstöße gegen seine Hausordnung ahndet Herr Pee bestimmt mit großer Strenge, vielleicht sogar handgreiflich, vor allem nach Pias verbalen Ausrastern. Sollte sie mir morgen die Eier bringen, werde ich mir das Mädchen sehr genau ansehen.
Ich hebe den erstaunlich modischen Büstenhalter auf und reiche ihn Pia.
»Er hat es gut gemeint«, verteidige ich den armen Jungen. »Seine Maggie sollte dich mit einem Kleidungsstück finden. Das heißt Mantrailing.«
»Und erübrigt sich hiermit, danke schön«, verabschiedet mich Herr Pee sehr deutlich.
Ich hole Daniel am Zwinger ab. Der Junge unterdrückt nur mit Mühe Tränen der Scham.
»Sie ist stinksauer, und da sagt man schon mal furchtbare Dinge, die man so nicht meint«, versuche ich Pias Ausraster herunterzuspielen. »Ich habe ihr erklärt, was du mit dem Kleidungsstück vorhattest.« Ich kann nicht anders, als einen Arm um seine Schultern zu legen. Erstaunlicherweise lässt er sich das gefallen.
Der erfreuliche Anblick eines endlich waagerecht ausgerichteten Restaurantschilds hebt meine Stimmung. Gudrun und Regine warten schon auf uns. Zum Glück nicht mit gelösten Haaren, blauen Flecken oder anderweitigen Kampfspuren. Sie sehen entspannt aus, erleichtert und scheinen sich bestens zu verstehen. Regine verspricht, Gudrun am nächsten Tag mit nach Trier zu nehmen. Als Mutter eines jugendlichen Angehörigen wolle sie sich für den Besuch von Davids derzeitiger Lebensgefährtin auf der Intensivstation einsetzen.
»Sie will ihn nicht zurück«, jubelt Gudrun, als Regine und Daniel vom Hof fahren. »Er soll nur seinen Vaterpflichten nachkommen. Das ist auch ganz richtig so. Und es gibt noch zwei Tischreservierungen.«
»Wo sind Jupp und Hein?«, frage ich.
»Zusammen weggefahren«, antwortet sie, »da herrscht so was von dicker Luft. Keine Ahnung, warum. Der Jupp ist völlig von der Rolle. So habe ich ihn noch nie erlebt. Nicht mal beim Tod seiner Mutter. Glaubst du, der Hein geht fremd?«
Ich schüttele den Kopf. »Wann, wo und vor allem mit wem sollte er das hier tun können?«, frage ich zurück.
Ratlos hebt Gudrun die Schultern, sagt dann: »Vielleicht haben sie aus einer Mücke einen Elefanten gemacht und streiten sich nur darum, wer bei ihnen zu
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