Kehraus fuer eine Leiche
mich im Traum verfolgt«, fährt Marcel fort. »Und das Gefühl ist immer noch nicht weg. Ein großes Unbehagen. Ich habe die Leute nur kurz bei dir im Lokal gesehen, aber ich gebe dir recht. Da ist was faul. Auch wenn es bestimmt nichts mit den beiden Morden zu tun hat. Sorry, Katja, ich brauche Kaffee.«
Er reißt sich so abrupt von meiner Seite, dass ich an Herzlosigkeit gedacht hätte, wenn mir seine einzige wirkliche Sucht nicht so vertraut gewesen wäre. Ohne Kaffee am Morgen ist Marcels gute Laune schnell dahin.
Ich strecke mich auf meinem leeren Lager aus. Marcel hat völlig recht. Gudrun und Regine werden Mathilde Quirk umsorgen. Ich kann und muss mich nicht um alles selbst kümmern. Auch nicht um die Leute vom Gnadenhof. Es ist natürlich höchst abwegig, dass sie irgendetwas mit den beiden Mordfällen zu tun haben sollten.
Wie sehr ich mich verrannt habe, wird mir klar, als ich die Fakten noch einmal nüchtern aufreihe:
Ein mir völlig fremder Mensch, Steffen Meier, hat – möglicherweise nach einem Ausflug über das Verbotsgelände – unsere Kapelle besucht und ist danach in meinem Auto nach Eiterbach gebracht worden, wo er seinem Mörder zum Opfer fiel. Ein paar Tage später wird David mit einem Baseballschläger übel zugerichtet. Am nächsten Tag wird Reinhold Wirzig, der David das wahrscheinlich angetan hat, auf Losheimergraben neben seinem schlammgrünen Geländewagen erschossen aufgefunden. Wo sollte da die Familie Prönsfeldt ins Spiel kommen?
»Habe ich dich etwa mit meiner Paranoia angesteckt?«, frage ich Marcel, als er mir einen riesigen Becher auf den Nachttisch stellt. Mit Zimt auf der Schaumkrone der aufgeschlagenen Milch, wie ich es morgens gern habe.
»Kann sein«, gibt er zu. »Vielleicht ist es ja keine Paranoia. Du hast einen guten Riecher, Katja, also mache ich mir so meine Gedanken. Ermitteln können wir in Richtung Gnadenhof jedenfalls noch nicht. Dafür gibt es keine vernünftigen Anhaltspunkte, nur Träume und böse Verdächtigungen ohne irgendeine Grundlage.«
»Und eine Ahnung«, sage ich.
»Ahnung«, sinniert Marcel, »könnte das Wort von den Ahnen kommen?«
Welch ein archaischer Gedanke! Sofort fallen mir Berichte über primitive Volksstämme ein, die wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ihnen Botschaften aus dem Jenseits zugesandt werden. Der tote Häuptling teilt seinem Sohn mit, wer ihm den Kopf eingeschlagen hat, und fordert Blutrache.
»Lass uns die Leute einfach besuchen«, schlage ich vor. »Es ist doch völlig unverdächtig, wenn ich mit meinem Freund die Eier meiner Adoptivhühner abhole. Und mir mit ihm den Gnadenhof ansehe und mit den Betreibern rede. Dann erfährst du mehr, und wenn es da eine relevante Spur gibt, kannst du sie ja aufnehmen.«
Marcel leert seinen Becher.
»Die eine Tochter könnte Verdacht schöpfen. Sie kennt mich als Polizisten.«
»Das ist Pia. Die mir die Hühner zur Adoption angeboten hat. Sie ist doch sofort abgehauen, als du mit dem Jeep vorgefahren bist. Die hat dich gar nicht richtig gesehen.«
»Auf der Eröffnungsfeier schon – und da hat sie vom Foto aus sogar David als Daniels Vater erkannt.«
Auf Marcels Frage, was ich über die Vorgeschichte der Pees weiß, zucke ich mit den Schultern. Beklagenswert wenig. Nur, dass die Familie ihren früheren Hof irgendwo in der Eifel wegen der dramatisch gesunkenen Milchpreise verloren hat. Als David seinen Erbhof nicht selbst betreiben wollte, haben Jupp und Hein über eine Anzeige Paul Prönsfeldt als Pächter aufgetrieben. Wir alle sind heilfroh gewesen, als sich die Angelegenheit so schnell hatte regeln lassen. Außer Gudrun, die hätte natürlich liebend gern mit David in ihrem alten Haus gewohnt.
»Aus welchem Teil der Eifel sie kommen, weißt du also nicht?«, fragt Marcel.
Ich schüttele den Kopf.
»Wie sprechen die Leute denn?«
»Was meinst du damit?«
»Na, du machst dich doch ständig über unsere Sprache lustig. Über das Holen zum Beispiel. Sagen die Prönsfeldts das auch so wie wir?«
»Du meinst holen statt nehmen?«
»Du weißt, was ich meine«, sagt er und klingt leicht verschnupft.
Ich denke einen Augenblick nach, sage dann: »Ja, stimmt, das sagen die auch.«
Marcel nickt.
»Es ist dir vielleicht nicht aufgefallen, Katja, weil du dich ja in einem extrem kleinen Umkreis bewegst, wenn man so etwas von dir überhaupt sagen kann, aber dieses Holen für alles, was du mit Nehmen bezeichnest, ist eigentlich eher typisch ostbelgisch. Ist bis in den
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