Kehraus fuer eine Leiche
der Fahnder geraten und hatten genug mit den daraus entstehenden Verdächtigungen zu tun. Sie wurden entlastet, als die Erben schließlich doch den Abschiedsbrief des Selbstmörders herausrückten und somit auf die Lebensversicherung verzichten mussten.
Verständlich, dass die Eltern Pee in diesem ganzen Stress ihren Nachwuchs einen Tag lang nicht beaufsichtigt hatten. Aber im Licht der jüngsten Erkenntnisse mag ich an einen einmaligen Vorgang, an einen einzigen Ausrutscher, nicht glauben. Steffen Meier war immerhin Türsteher in einem Kölner Bordell und hatte bis zu seinem Tod vor einer Woche Kontakt zu Pia.
»Dieser Ausweis ist leider eine Fälschung«, sage ich. »Wie ist Désirée zu Ihnen gekommen?«
Die Frau blättert per Tastendruck zurück.
»Oh Gott«, sagt sie und wird bleich.
»Durch Empfehlung von Herrn Steffen Meier?«, frage ich, bevor ich es selbst sehe.
Sie nickt und sieht so betroffen aus, wie es dem straff gespannten Gesicht eben möglich ist.
»Die Polizei war deswegen schon hier«, flüstert sie. »Das ist ja ganz furchtbar. Das mit dem Mord. So etwas muss man erst mal verdauen.« Sie deutet auf den Kuchenteller neben sich. »Möchten Sie ein Plunderteilchen, Frau Langer?«
Die Tür fliegt auf.
Herein stürzt ein Exemplar, von dem ich bis zu diesem Augenblick angenommen hatte, es im Leben nie wieder sehen zu müssen. Es fliegt mich an wie ein unerwünschter Gruß aus meiner Berliner Vergangenheit: ein mit Kameras behängter an Kopf und Kinn stoppeliger Modefotograf mit einem Stativ in der Hand. Im üblichen heftig gestylten Nachlässigkeitslook. Hinter ihm schleicht sich ein junges geschlechtsloses Kurzhaarwesen hinein, das sich schwer beladen an Koffer und Schirmen einen Bruch holen könnte, wenn es denn menschlich wäre. Was auszuschließen ist, wenn man den Umgang der Herren über das Objektiv gegenüber diesen Subjekten so hautnah miterlebt hat wie ich in meinem früheren Leben. Niemand muss leidensfähiger sein als der Assistent eines Modefotografen.
»Frau Schnei …«
Der Fotograf bricht ab und starrt mich an. So verzückt, dass ich in Schockstarre verfalle. Kennt er mich etwa von früher? Weit gefehlt.
»Meine Beth Ditto!«, trällert er und stellt das Stativ ab. »In Würde gealtert!«
Ich erschrecke noch mehr.
»Frau Schneider, nehmen Sie die Frau sofort unter Vertrag!«
Er stürzt auf mich zu, küsst stürmisch dreimal in die Luft neben mich, greift nach meinen Händen, als wolle er mit mir einen Ringeltanz aufführen, und mustert mich selig von oben bis unten. Ich kann mich nicht wehren, da mich eine seiner Kameras am Solarplexus getroffen und außer Gefecht gesetzt hat.
»Eine Haut wie ein dreißigjähriger Pfirsich!«
»So verschrumpelt?«, keuche ich, nach Luft ringend.
Er hört es natürlich nicht.
»Das ist, was ich die ganze Zeit suche. Eine wunderschöne dicke alte Frau. Wir haben einen Superauftrag, Mädchen, am besten, du kommst gleich mit.«
Die Dame der Agentur versucht ihr Hausrecht in Anspruch zu nehmen.
»Einen Augenblick! Frau Langer ist aus anderen Gründen …«
»Langer, wie klingt das denn?«
Darüber hatte ich auch schon nachgedacht, als ich mich mit Marcels Nachnamen vorgestellt hatte.
»Machen wir Langée draus, Mädchen, du wirst nämlich Lingerie in XXXL vorführen. Rubens aktuell. Und einen passenden Vornamen kriegen. Lola Langée. Genau. Das ist es. Rund und schön. Keine Angst, Falten und Cellulite räumen wir am Computer auf. Das Tattoo auf deiner Hand kann bleiben. Kroko macht sich immer gut. Wie sehen denn deine Beine sonst so aus?«
Als er mir den Rock, den ich um der Seriosität willen angezogen habe, lupfen will, trete ich drei Schritte zurück.
»Ich bin kein Model!«, informiere ich ihn.
»Ich mache dich zu einem! Zum besten. The talk of town. Dick, alt und schön. Das ist die Zukunft, Mädchen. Und das ist unser Auftraggeber, toll, was!«
Er tippt auf ein Foto an der Wand. Ein junges molliges Mädchen in Kunststoffpullover mit Glitzerpünktchen und längs gestreiften Leggings. Darüber der Schriftzug eines Billig-Discounters der Textilbranche mit einem grammatikalisch unkorrekten Werbespruch.
Ich verscheuche Gedanken an die Berliner Hochglanzzeitschrift, bei der mich Fotografen einst ehrerbietig umschwärmten und erst nach meinem Ritterschlag zu duzen wagten.
Es geht nicht darum, wie tief ich gesunken sein mag. Es geht um Pia. Um die Aufklärung zweier Morde.
»Dieses Unternehmen hat den Zeitgeist begriffen«,
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