Kehraus fuer eine Leiche
fährt er begeistert fort. »Nicht nur auf das budgetschwache Frischfleisch setzen! Die Alten haben noch Geld, müssen es aber zusammenhalten. Die essen billiges Fast Food. Werden dadurch noch dicker. Wie du, Mädchen. Müssen dauernd eine Nummer größer kaufen. Und können trotzdem toll aussehen. Masse mit Klasse. Wie du, Mädchen. Jetzt zier dich nicht; was hast du denn zu verlieren? Ich mach dich zu einem Star!«
Frau Schneider hat sich in ihrem Drehstuhl zurückgelehnt.
»So ganz unrecht hat er nicht«, bringt sie hervor. »Sie könnten es ja mal probieren.«
»Nein, danke«, gebe ich zurück. »Nur noch eine Frage: Wie viele Aufträge haben Sie Désirée bisher vermittelt?«
»Interessenten waren genug da«, antwortet Frau Schneider, »aber das Mädchen hat auf unsere E-Mails nie geantwortet, sehr bedauerlich.«
»Um wen geht es?«, fragt der Fotograf. Ich überlasse es der Agenturdame, dies zu erklären, und verlasse das Büro ohne Abschied.
Vor der Tür atme ich tief durch.
Es ist immer erfreulich, eine Alternative aufgezeigt zu bekommen, beruhige ich mein angekratztes Ego. Wenn mein Restaurant nicht läuft und mein Erbe aufgebraucht ist, werde ich eben Unterwäschemodel für Übergrößen. Ich mustere das Krokodil. Es kann bleiben, hat der Fotograf gesagt. Das will es offensichtlich auch, denn es denkt nicht daran zu verblassen, ganz im Gegenteil: Jetzt hat sich sogar ein Auge ausgeformt. Es blinzelt mich an, als wollte es sagen: »Wenn du mich nicht reizt, lasse ich dich auch in Ruhe.«
Ich schicke Marcel eine SMS. Anrufen will ich ihn nicht. Man sollte einen Mann im Puff nie stören.
Er antwortet sofort und beordert mich in das Bordell, an dem ich ihn vor meinem Besuch in der Agentur abgesetzt habe.
»Sag ihnen, du bist Frau Langer«, schreibt er.
Langsam fange ich an, mich daran zu gewöhnen. Kann es allerdings kaum fassen, dass er tatsächlich unter seinem echten Namen aufgetreten ist. Kennt man in Belgien den Begriff undercover nicht? Leider hat er versäumt zu schreiben, wie sich Frau Langer im Puff verhalten soll. Empört den Gatten zurückfordern oder freudig über den in Aussicht stehenden flotten Dreier strahlen?
»Was soll ich sagen?«, simse ich zurück.
»Langer + Guten Tag«, schreibt er. Schön, er hat also wieder mal alles unter Kontrolle.
Das Etablissement erreiche ich in fünf Minuten, brauche aber eine Viertelstunde, um einen Parkplatz zu finden. Im eingeschränkten Halteverbot. Gut, dann soll die belgische Polizei mein Kölner Knöllchen bezahlen.
Ein völlig unscheinbarer Sechzigerjahre-Bau aus Beton mit einem deprimierend aufleuchtenden Siebzigerjahre-Schriftzug Erotik Salon . Im Fenster hängen von Zeit und Licht vergilbte Fotos des dauergewellten Schönheitsideals aus den frühen Achtzigern. Die Highlights im Haar der mittelalten Frau, die mir auf mein Klingeln öffnet, stammen immerhin aus diesem Jahrhundert.
Ich sage mein Sprüchlein auf; sie lächelt verbindlich und führt mich an einem Treppenaufgang vorbei zu einem von künstlichen Fackeln schlecht beleuchteten Gang. Ein tieffloriger Teppichboden in Altrosa dämpft jeden Schritt. In der Luft hängt schweres Parfüm und an der Wand eine schwarz-weiße Tapete mit Kopulationsszenen aus der griechischen Antike.
»Nummer 105«, haucht sie und nickt in den langen Flur hinein. »Wenn Sie etwas brauchen, klingeln Sie nur. Wir sind immer für Sie da. Angenehmen Aufenthalt.«
Marcel öffnet auf mein Klopfen. Zu meiner Beruhigung ist er voll bekleidet. Im Gegensatz zu der jungen Schönen, die in schwarz-violetten Dessous auf dem Rand eines Plüschsessels hockt. Mit einer weitläufigen Geste fordert mich Marcel auf, die einzige andere Sitzgelegenheit in Anspruch zu nehmen. Also lasse ich mich auf dem breiten Bett nieder.
»Tanja; meine Frau«, stellt er uns knapp vor und setzt sich neben mich. »Tanja kann uns bei der Suche nach unserer Nichte Désirée helfen.«
»Hat sie hier etwa gearbeitet?« Meine Entgeisterung klingt echt, weil sie es ist.
»Nicht hier im Salon. Auf eigene Rechnung«, antwortet Tanja und deutet mit dem Zeigefinger nach oben. »Sie und ihre Freundin haben im ersten Stock ein Zimmer gemietet.«
»Wann?«, frage ich gepresst, ahnend, wer die Freundin sein muss.
Tanja hebt die Schultern. »Weiß ich nicht. Sie waren schon da, als ich vor zwei Jahren hier anfing. Jedes Wochenende, von Freitag bis Sonntagabend. Und manchmal auch die ganze Woche durch.«
In den Ferien. Mir ist ganz schlecht.
»Unsere
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