Kehraus fuer eine Leiche
sein.«
Ich lasse ihn los, ziehe ein Papiertaschentuch aus der Box neben dem Bett und reiche es ihm.
»Ich wollte immer ein Sohn haben«, flüstert er und schnäuzt sich kräftig. »Der Erste sein, der ihn zeigt, wie man Baseball richtig wirft und trifft. Jetzt ist Daniel schon siebzehn. Zu spät.«
»Wenn das deine einzige Sorge ist«, erwidere ich lachend. »Da kannst du immer noch der Erste sein, David. In Deutschland spielt man nicht Baseball.«
Ich bin froh, dass er in mein Lachen einstimmt und nicht daran denkt, dass ihn ein Baseballschläger fast umgebracht hätte.
Vielleicht ist es ihm doch eingefallen. Sein Gesicht verdüstert sich. Hellt sich aber sofort wieder auf.
»Ich weiß es jetzt!«, ruft er ekstatisch. »Ich erinnere! Was der Mann gesagt hat. In der Baracke. Es ist da. Ganz klar. Ich höre ihn!«
»Was hörst du?«, frage ich atemlos und streichele mein plötzlich wieder aufmüpfig werdendes Krokodil.
Davids Antwort lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Er muss sich irren. Irgendetwas verwechseln. Es ist die Aufregung wegen Daniel. Meine Schuld. Da sind die Synapsen im Gehirn durcheinandergeraten.
»Sag das noch einmal«, bitte ich ihn und fahre mit der Zunge über meinen juckenden Handrücken. Was will mir das Tier jetzt bloß sagen?
»Sein Freund«, antwortet er gedehnt. »Der Mann fragt, ob ich sein Freund kenne. Sein Freund Hein Mertes. Ich sage ja. Er fragt, wo Hein jetzt ist. In Restaurant Einkehr , sage ich. Mehr nicht. Dann ist es dunkel. Dann bin ich in Krankenhaus aufgewacht. Ich verstehe das nicht.«
»Hein?«, wiederhole ich ungläubig.
»Ja, Katja, was meint das?«
Ich kann nicht antworten. Ich stehe unter Schock.
»Ist schlimm?«, fragt David besorgt.
Wenn es das ist, was mir jetzt durch den Kopf geht, ist es eine Katastrophe.
21_STÖRUNG
Mittwochmittag
Die Sache kann nicht warten. Eilig verabschiede ich mich von David und rufe noch aus dem Krankenhaus Marcel an. Der bittet mich, Hein und Jupp aufzutreiben und am Nachmittag in mein belgisches Privathaus zu beordern. Klar, dann kann er sie ohne Zustimmung deutscher Behörden vernehmen.
Ich komme mir wie eine Verräterin vor, als ich die beiden Männer anrufe. Natürlich wollen sie wissen, um was es geht.
Zu aufgewühlt, um einen Vorwand zu ersinnen, bestelle ich sie einfach barsch zu mir hin. Mit einer Stimme, die keine Widerrede duldet.
Jupp fragt, ob ich es mir mit dem Jacuzzi doch anders überlegt hätte, jetzt, wo ich das Riesending gesehen habe.
»Nein, es geht um etwas anderes«, sage ich und setze freundlicher hinzu: »Das wirst du dann schon erfahren.«
Mit Hein lasse ich mich gar nicht erst auf eine Diskussion ein und kappe die Verbindung, als er fragt, weshalb ich denn so wütend sei.
Ich bin nicht wütend. Ich bin außer mir. Auf der Fahrt von Trier zurück in die Eifel rede ich laut vor mich hin. Wie vorgestern im Bunker. Erzähle mir selbst, dass alles bestimmt völlig harmlos ist. Es ist nichts von Bedeutung passiert. David, der immer noch an den Folgen der Kopfwunde laboriert, hat an seinen Freund Hein gedacht. Er hat doch selbst gesagt, das Zurückerobern der Erinnerung sei wie das Festhalten eines Traumgesichts. Eben. David hat geträumt. Von seinem Angreifer und seinem Freund Hein. Und beim Aufwachen beides zusammenhanglos in die Wirklichkeit versetzt.
So muss es gewesen sein. Ich verfluche meine Voreiligkeit. Marcel ist auf meinen Bericht regelrecht angesprungen; als habe er auf eine solche Offenbarung gewartet. Leider hat er dieselbe abenteuerliche Schlussfolgerung gezogen wie ich eben im Affekt.
Ausfahrt Prüm. Ich zuckele hinter einem Güllewagen die Landstraße entlang und die Serpentinen den Berg hinunter ins Tal, wo einst die geschichtsträchtige Abtei der Kleinstadt stand. Die Kaiser und Könige aufgesucht haben. Und wo mein alter Freund Josef Junk jahrelang als Polizeichef gedient hat, bevor er Bitburger Verbandsbürgermeister wurde. Ein Kriminalist reinsten Wassers. Der immer erst alle Fakten klug abwog, ehe er sich in einen Fall verbiss. Ich sollte mir an ihm ein Beispiel nehmen.
Welche Fakten habe ich? Dummerweise habe ich mich bisher zu stark auf den Mordfall Meier konzentriert; über Reinhold Wirzig weiß ich so gut wie gar nichts. Angesichts der anderen dramatischen Entwicklungen hat er mich auch nicht sonderlich interessiert. Ein toter Kölner Ganove, na und. Der hätte überhaupt nichts mit meinem Umfeld zu tun gehabt, wenn er vor seinem Ableben David nicht
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