Kehraus fuer eine Leiche
verbessert mich Regine. »Wir üben für Pfingsten.«
»Ich kann nicht mehr!«
Gudrun hört auf zu hüpfen, beugt den Oberkörper vor und drückt die Arme in die Seiten.
»Für die Echternacher Springprozession«, bringt sie japsend hervor. »Ich habe da noch nie mitgemacht. Aber dieses Jahr muss ich dabei sein! Weil ich schon nicht mit der Sankt-Matthias-Bruderschaft nach Trier wandern kann …«
Wegen des Hochbetriebs am vergangenen Samstag hatte ich sie inständig gebeten, in diesem Mai auf ihre dreitägige Pilgerwanderung zu verzichten.
»Wir Prümer haben bei der Procession dansante eine Sonderstellung«, erklärt Regine stolz. »Wir springen nämlich drei Tage lang – den ganzen Weg nach Echternach und dann am Dienstag in Echternach selbst auch noch.«
»Dafür braucht man Ausdauer«, kräht Gudrun. »Deshalb muss ich vorher schon anständig trainieren. Sonst schaffe ich es nicht, und das wäre doch peinlich.«
»Wozu das Ganze?«, frage ich, als ich allen voran die Einkehr betrete.
Während Gudrun und Regine in der Küche verschwinden, klärt mich der des Hüpfens kundige Waldarbeiter über eine uralte Tradition meiner neuen Heimat auf. Demnach ist die Echternacher Springprozession kein Tanzvergnügen, sondern eine Wallfahrt. Die führt zum Grab von Sankt Willibrord in der Echternacher Basilika. Weshalb man sich dem Heiligen hüpfend zu nähern hat, kann er mir aber auch nicht erklären. Das sei eben immer so gewesen, verbinde die Gemeinschaft und mache viel Spaß.
Zudem sei sie sehr wichtig: Die UNESCO habe die Echternacher Springprozession vor wenigen Monaten in die Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen.
Ich erkundige mich, wofür der heilige Willibrord denn zuständig sei. Das meine ich keineswegs ironisch. Obwohl ich ungetauft und ungläubig bin, nimmt sich der heilige Antonius immer meiner an, wenn ich etwas verlegt habe. Vor zwei Jahren habe ich ihn das erste Mal aus Verzweiflung und Ermüdung angerufen. Weil wichtige Erbschaftspapiere unauffindbar verschwunden waren und Gudrun mich unendlich nervte, doch auf die Gnade des Heiligen zu bauen. Sie ließ nicht locker. Also belästigte ich den Schutzpatron für das Auffinden verlorener Sachen mit einer Bitte. Um Gudrun zum Schweigen zu bringen und weil es eh nicht schaden konnte. Ohne übrigens selbst weiterzusuchen; im ganzen Haus gab es keine Stelle mehr, die ich nicht durchforstet hätte.
Der Heilige, der vor allem in der Eifel bestimmt Wichtigeres zu tun hatte – er bekämpft schließlich auch Unfruchtbarkeit, Fieber, teuflische Mächte und Viehkrankheiten –, erbarmte sich meiner ungeheuer schnell. Zwei Stunden später fand ich die Papiere auf dem Fußboden im Arbeitszimmer. Sie waren offenbar aus der Rückwand des davorstehenden Schranks gerutscht. Seitdem betrachte ich diesen Sankt Antonius als einen Freund, der mir exzessives Suchen abnimmt.
»Der heilige Willibrord ist für vieles zuständig«, sagt jetzt der Waldarbeiter. »Wenn man Krämpfe hat oder einen epileptischen Anfall oder irgendwas mit den Nerven.«
Hätte ich Letzteres gestern im Bunker gewusst, wäre mir die Panikattacke möglicherweise erspart geblieben.
»Aber das Springen muss doch einen Sinn haben«, erkläre ich, als sich Gudrun zu uns an den Tisch setzt. Sie nimmt meine rechte Hand in ihre und streicht über das einzahnige bräunlichrote Krokodil.
»Die Farbe ist immer noch so stark wie am ersten Tag«, flüstert sie. »Was für einen Sinn hat das denn?«
»Keinen. Die Eifel hat mich gebrandmarkt«, gebe ich scharf zurück.
Gudrun lacht ihr unerträglich vielwissendes leises Lachen.
»Für Gott gibt es nichts Sinnloses«, sagt sie.
»Jucken ist sinnvoll?«
»Vielleicht soll es dir etwas sagen? Juckt es denn ständig? Oder nur vor einem Wetterumschwung? Wie manche Leute das bei Narben haben?«
»Es juckt nur manchmal«, gebe ich zu. »Aber mit dem Wetter hat das nichts zu tun …«
Ich breche entgeistert ab. In meinem Hirn ist ein ganz und gar absonderlicher, vielleicht sogar kranker Gedanke aufgeblitzt. Gudrun blickt mich fragend an, aber ich spreche nicht weiter. Ich würde mir eher die Zunge abbeißen, als ihr verraten, dass das Tier seltsamerweise immer dann aufzumucken scheint, wenn mir oder meinem Umfeld Unheil droht. Eine solche in die Haut integrierte Frühwarnechse sollte ich als Freund behandeln.
Seitdem ich in der Eifel lebe, halte ich es mit dem Aberglauben wie mit dem Computer und der
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