Kehraus fuer eine Leiche
Todesstrafe ist zu viel für das.« Er berührt seinen Kopf.
»Todesstrafe gibt es in Deutschland nicht«, sage ich.
»Ist aber manchmal gut«, sagt der Texaner.
»Ich bin voll dagegen«, erkläre ich.
»Verstehe ich«, sagt David. »Es gibt falsche Urteile. Du musst ganz sicher sein. Und es muss furchtbar schlimm sein. Wer ein Kind was Böses tut, der muss weg. Für immer.«
»Einschließen und Schlüssel wegwerfen«, sage ich mit bemühter Leichtigkeit. Über dieses Thema möchte ich nun gerade nicht reden. Ich informiere ihn, dass Gudrun ihn am Nachmittag besuchen wird.
David strahlt mich mit seinem amerikanischen Zahnpastalächeln an.
»Ich weiß. Mit Regine. Gut, dass Regine jetzt auch in Einkehr arbeitet.«
Vorsicht. Mine. Regine. Daniel. Ich muss aufpassen. Und etwas richtigstellen.
»Sie arbeitet nicht in der Einkehr, David. Sie hilft Gudrun.«
Sein Lächeln wird noch breiter.
»Gut, dass Gudrun nicht böse ist. Wegen Regine. Ist auch so lange her.«
Ein Teenagerleben lang. Daran darf ich nicht denken. Damit bloß nichts rausrutscht.
»Wie hast du Regine eigentlich kennengelernt?«, frage ich.
»In Café«, antwortet er.
»In Prüm?«
»Natürlich.«
»Du warst also schon früher hier?«
»Ja. Habe ich nicht gesagt?«
»Nein.«
»Aber du weißt es jetzt.«
»Ja. Was hast du hier denn so gemacht?«
»Hat Regine nicht gesagt? Wie alle Amerikaner hier. Ich war bei der Army. In Schwarzem Mann.«
»In der Radarstation?«
»Ja.«
Ich rücke meinen Hocker näher an das Bett heran und streichele seine Hände.
»Kannst du dich denn noch erinnern, was genau du da getan hast?«
»Natürlich, ich …«
Die Erfindung des Telefons hat nicht nur Vorteile. Warum muss es ausgerechnet jetzt klingeln? Wo das Licht im Dunkel von Davids Prümer Vergangenheit gerade aufglimmen will?
»Hi, Mom«, sagt er.
Ich stehe auf und blicke aus dem Fenster auf die Müllcontainer des Krankenhauses. David spricht sehr liebevoll mit seiner Mutter. Und sehr bestimmt. Nein, sie solle nicht in die Eifel kommen. Sie solle sich und ihr Bein schonen. Er würde sie in Texas besuchen. Mit einer schönen Überraschung.
Mit mehreren Überraschungen, denke ich. Wie wird David seine Mutter auf Gudrun vorbereiten, auf die Tochter des Mannes, der so viel Leid über seine Mutter und Großeltern gebracht hat? Wahrscheinlich gar nicht. Vielleicht wird sich die gebürtige Eifelerin Mathilde Quirk an die Bürde schwerwiegender Worte erinnern und keine Fragen stellen.
»I’m fine«, sagt David ins Telefon. Der Mann, der ihn angegriffen habe, sei erschossen worden. Nein, natürlich habe er ihn nicht selbst umgebracht. Er liege doch noch im Krankenhaus. Wie sie ja auch. Ach, sie sei schon entlassen worden?
»No, Mom, please don’t take the plane«, sagt er, bevor er sich verabschiedet.
»Deiner Mutter geht es also besser?«, frage ich, als er das Telefon wieder auf den Nachttisch legt.
»Ja. Sie will hier kommen«, seufzt er.
»Freu dich doch!«, sage ich.
Er hebt die Schultern.
»Keine gute Idee«, sagt er finster.
Wieso wehrt er sich gegen einen Besuch seiner Mutter? Das werde ich ja wohl noch fragen dürfen. Doch er kommt mir mit einer Frage zuvor.
»Wie geht es Linus?«
»Keine Ahnung«, sage ich überrascht. »Der ist die ganze Zeit bei Daniel.«
»Daniel?«
Ich habe es vermasselt.
»Wer ist Daniel?«, hakt David nach, als ich nicht reagiere.
»Regines Sohn«, quetsche ich unwillig hervor.
»Regine hat ein Sohn?«
Ich nicke unglücklich. David zieht die Augenbrauen zusammen.
»Wie alt?«, fragt er heiser.
»Keine Ahnung«, flunkere ich. »Ein Kind halt.«
»Was Kind? Drei, zehn, siebzehn?«
Ich sehe es hinter der bandagierten Stirn rechnen.
»Irgendwas dazwischen.«
»Mehr drei oder mehr siebzehn?«
»Mehr siebzehn«, flüstere ich.
David sagt lange Zeit nichts. Dann schlägt er mit der Faust aufs Bett.
»Shit! Ich habe es gedacht!«
Es hat keinen Zweck, weiter herumzulügen.
»Aber das ist doch eine schöne Nachricht«, sage ich. »Freust du dich denn gar nicht?«
Toll, wie psychologisch behutsam ich vorgegangen bin! David weint. Ich setze mich an den Bettrand und streichele ihm unbeholfen die zuckenden Schultern.
»Daniel ist ein wunderschöner Junge, David. Er sieht aus wie du. Wir haben ihn alle sehr gern. Linus auch. Und gestern hat er mir das Leben gerettet.«
»Daniel«, schluchzt David.
»Ja, so heißt er. Er freut sich so darauf, dich kennenzulernen. Und du kannst sehr stolz auf ihn
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