Kehraus fuer eine Leiche
Religion: Sie alle können in vorsichtigen Dosierungen hilfreich und tröstlich sein.
Nachdem die Männer gegangen sind, präsentiert mir Gudrun strahlend die Abrechnung des Vorabends.
»So viel Kasse haben wir nicht mal zur Eröffnung gemacht«, erklärt sie. »Wenn das so bleibt, müssen wir Regine unbedingt einstellen, vor allem, wo uns David noch nicht helfen kann.«
»Wie geht es ihm?«, frage ich mit schlechtem Gewissen. An David habe ich überhaupt nicht mehr gedacht, auch nicht daran, dass Gudrun und Regine meinetwegen gestern nicht zu ihm nach Trier fahren konnten. »Warum fahrt ihr nicht gleich los und besucht ihn?«
»Weil wir erst heute Nachmittag können«, beantwortet Regine meine Frage. »Wenn Daniel aus der Schule kommt. Die Ärzte meinen, David kann es jetzt verkraften, einen Sohn zu haben.«
»Es geht ihm jeden Tag besser«, erklärt Gudrun. »Wir haben heute Morgen ganz lange telefoniert. Stell dir vor, er kann sich langsam erinnern. An das, was passiert ist.«
»Und das sagst du erst jetzt?«, frage ich fassungslos.
»Na ja«, Gudrun zögert. »Es ist nicht viel. Er weiß wieder, dass er in die Leitstelle gegangen ist. Und dass da ein Mann war. Der hat ihn etwas gefragt.«
»Was hat der ihn gefragt?«
»Ebendas fällt ihm nicht ein«, antwortet Gudrun. »Aber er arbeitet dran. Geht immer wieder alles von vorn durch. Irgendwann wird er den Mann wieder hören, sagt er.«
Es wird höchste Zeit, dass ich den Patienten auch besuche.
»Könnt ihr euch um die heutigen Einkäufe kümmern?«, frage ich die beiden Frauen und greife nach einem Notizblock.
»Sag ihm noch nichts von Daniel«, bittet Regine. »Das soll eine Überraschung sein.«
»Ich werde schweigen wie ein Grab«, verspreche ich.
David empfängt mich aufrecht im Bett sitzend. Er sieht unverändert aus, abgesehen von einem nicht sonderlich breiten Verband um die Stirn und den winzigen schwarzen Stoppeln, die auf dem Kopf sprießen, wo man ihm die Haare abrasiert hat. Er freut sich sichtlich, mich zu sehen.
»Gestern war Gudrun nicht da«, klagt er.
Ich halte es nicht für sinnvoll, dem gerade erst Genesenden von meinem Bunker-Abenteuer zu berichten – zumal ich dann unweigerlich Daniel erwähnen müsste. Ich habe Regine zwar versprochen, ihr die Überraschung nicht kaputt zu machen, ihr aber auch zu bedenken gegeben, ob es nicht sinnvoller wäre, David psychologisch behutsam auf seine späten Vaterfreuden vorzubereiten. Ich wäre dazu durchaus in der Lage, da ich David gut kenne und sehr umsichtig vorgehen würde. Man sollte ihm den Schock ersparen, plötzlich mit seinem jüngeren Selbst konfrontiert zu werden. Ein Blick auf Daniel, sagte ich, und alles wird ihm klar sein. Regine wies mich resolut in die Schranken. Eben, sagte sie, gerade dieser Blick erspare allen Beteiligten unnötige Erklärungen. Nicht ich, die Unbeteiligte, solle sprechen, sondern die Tatsache für sich selbst.
Ich hätte es wissen müssen: Eifelerinnen reden zwar leicht und locker über Alltagssorgen, bürden sich aber höchst ungern die Last schwerwiegender Worte auf.
Also weiche ich Davids Frage lachend aus und berichte von meinem unglaublich florierenden Geschäft. Ich sei personell unterbesetzt und könne es kaum erwarten, ihn wieder Radieschenfiguren schnitzen zu sehen, eine Tätigkeit, die ich ihm unter Androhung von Höchststrafen in meiner Küche verboten hatte.
»Mir fehlen deine Brownies«, sage ich. »Schade, dass du dich an das Rezept nicht mehr erinnern kannst.«
»Ich erinnere!«, ruft er empört und wirft mir Block und Stift von seinem Krankenhausnachttisch zu. »Schreib!«
Gehorsam notiere ich seine sehr peniblen Inhalts- und Mengenangaben. Keines meiner Rezepte könnte ich aus dem Stegreif so exakt herunterbeten.
»Toll, dass dein Kopf wieder richtig funktioniert«, sage ich beeindruckt. »Dann wird dir bestimmt irgendwann wieder einfallen, was dieser üble Kerl von dir gewollt hat. Weshalb er dich niedergeschlagen hat. Irgendeinen Grund muss es dafür doch geben!«
David verzieht das Gesicht.
»Ich versuche so hart zu erinnern«, sagt er verzweifelt. »Es ist fast da – and then it slips away. Wie der Traum morgens. Oder bevor du in Schlaf fällst. Du möchtest ihn halten. Du weißt, du hast etwas gesehen. Etwas gehört. Aber dann ist es weg. Und du bist leer. Aber ich versuche. Gudrun sagt, der Mann ist tot. Murdered. Weiß Marcel schon, wer das gemacht hat?«
»Nein«, sage ich. »Aber er wird es herausfinden.«
»Gut.
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