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Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Kloster beschließen sollte; auf seinen Wunsch, diesem Fräulein näherzutreten, ließ man ihn hoffen, daß er, allerdings ohne Mitgift, die Hand des Fräuleins Philiberte für seinen Sohn würde erhalten können. Er begab sich nach Bayeux, hatte mehrere Zusammenkünfte mit der Familie de Champignelles und war entzückt von den hervorragenden Eigenschaften der jungen Dame. Schon mit sechzehn Jahren verriet Fräulein de Champignelles, was dereinst aus ihr werden würde. Sie ließ eine unerschütterliche Frömmigkeit, einen unverrückbaren gesunden Verstand, ein unbeugsames Rechtsgefühl und einen Charakter erkennen, der sich niemals von einer Hingabe, sei sie auch eine anbefohlene, abbringen ließ. Der alte, durch seine schlechten Lieferungen reich gewordene Edelmann erkannte in diesem reizenden Mädchen die Frau, die seinen Sohn durch das Beispiel ihrer Tugenden und durch ihre, bei aller Milde unerschütterliche Charakterfestigkeit stützen konnte; Sie haben ja selbst gesehen, daß niemand milder sein kann als Frau de la Chanterie; aber niemand konnte auch vertrauensseliger sein; sie wird sich bis zu ihrer Lebensneige die Reinheit der Unschuld bewahren; sie wollte früher nicht an das Böse glauben; das wenige von Mißtrauen, was Sie bei ihr bemerken, war die Folge der Schicksalsschläge, die sie betroffen haben. Der Alte verpflichtete sich den Champignelles gegenüber, im Ehekontrakt anzuerkennen, daß Fräulein Philiberte ihr rechtmäßiges Erbteil empfangen habe; dafür versprachen die Champignelles, die mit den großen Adelsfamilien in naher Beziehung standen, daß das Lehen de la Chanterie zur Baronie erhoben werden sollte, und sie hielten ihr Wort. Die Tante des zukünftigen Gatten, Frau de Boisfrelon, die Frau des Parlamentsrats, der in Ihrer Wohnung gestorben ist, versprach, ihr Vermögen ihrem Neffen zu hinterlassen. Als alle diese Abmachungen zwischen den beiden Familien erledigt waren, ließ der Vater seinen Sohn kommen. Berichterstatter über die Bittschriften im Großen Rat, fünfundzwanzig Jahre alt, hatte der junge Mann zusammen mit den anderen jungen Adligen dieser Zeit zahlreiche Torheiten begangen, indem er ebenso wie sie lebte; deshalb hatte der alte Armeelieferant schon mehrmals erhebliche Schulden für ihn bezahlt. Der arme Vater, der weitere Verschwendungen seines Sohnes voraussah, war recht froh, daß seine künftige Schwiegertochter ein gewisses Vermögen haben würde; aber er hatte solche Bedenken, daß er die Nachfolge in dem Lehen de la Chanterie auf die Kinder männlichen Geschlechts, die aus dieser Ehe entsprießen würden, übertrug. – Die Revolution«, bemerkte Alain in Parenthese, »hat diese Vorsicht überflüssig gemacht. – Schön wie ein Engel, von wunderbarer Gewandtheit in allen körperlichen Übungen, besaß der junge Berichterstatter die Gabe der Verführung«, fuhr er fort. »Fräulein de Champignelles verliebte sich also, wie Sie sich leicht denken können, sehr in ihren Bräutigam. Der Alte, überglücklich darüber, daß die Ehe so begann, und auf eine Sinnesänderung seines Sohnes vertrauend, schickte selbst die Neuvermählten nach Paris. Das geschah zu Beginn des Jahres 1788. Dieses Jahr war beinahe ein Glücksjahr zu nennen. Frau de la Chanterie wurde die bis ins einzelne gehende Fürsorge und die zarteste Aufmerksamkeit zuteil, wie sie nur ein liebevoller Ehemann an eine Frau, die er allein liebt, verschwenden kann. Wie kurz der Honigmond auch war, er hat doch das Herz dieser so edlen und so unglücklichen Frau mit seinem Glanze erfüllt. Sie wissen, daß die Mütter damals ihre Kinder selbst nährten, und die gnädige Frau hatte eine Tochter geboren. Diese Periode, während deren eine Frau der Gegenstand verdoppelter Zärtlichkeit hätte sein müssen, war im Gegenteil der Anfang unerhörten Unglücks. Der Berichterstatter war genötigt, alles, worüber er verfügen konnte, zu verkaufen, um alte Schulden, die er verheimlicht hatte, und neue Spielschulden, die er machte, zu bezahlen. Bald darauf verfügte die Nationalversammlung die Auflösung des Großen Rats, des Parlaments und aller so teuer gekauften Justizämter. Der junge Hausstand, noch durch eine Tochter vermehrt, stand also ohne andere Einkünfte da als die der vererbten Güter und der anerkannten Mitgift der Frau de la Chanterie. Nach zwanzig Monaten sah sich die reizende, siebzehneinhalb Jahre alte Frau genötigt, mit ihrer Tochter, die sie nährte, von dem Ertrage der Arbeit ihrer Hände in einer obskuren

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