Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)
Mut auszeichnete wie jener durch Heuchelei und Feigheit. Dieser Genosse, dessen Anmut, Charakter und abenteuerliches Leben auf ein junges Mädchen Einfluß ausüben mußten, war in den Händen des Gatten wie ein Instrument, dessen er sich bediente, um seine niederträchtigen Lehren zu unterstützen. Niemals ließ die Tochter die Mutter wissen, in welchen Abgrund sie das Geschick gestürzt hatte; denn man kann nicht mehr von menschlicher Voraussicht sprechen, wenn man an die peinlichsten Vorsichtsmaßregeln denkt, die Frau de la Chanterie traf, als es sich um die Heirat ihrer einzigen Tochter handelte. Dieser letzte Schlag, der das so opfervolle, so reine, so fromme Leben einer Frau traf, die schon so viel Unglück erfahren hatte, machte Frau de la Chanterie mißtrauisch gegen sich selbst, und dies Mißtrauen trennte sie um so mehr von ihrer Tochter, als diese, zum Ausgleich für ihr trauriges Geschick, fast völlige Freiheit für sich verlangte, ihre Mutter beherrschte und sie manchmal sogar hart anließ. So in allen ihren liebevollen Neigungen zurückgestoßen, in ihrer Hingebung und Liebe für ihren Gatten, dem sie ohne ein Wort der Klage ihr Glück, ihr Vermögen, ihr Leben geopfert hatte, getäuscht, vergeblich bemüht, ihrer Tochter eine streng religiöse Erziehung zu geben, von der Gesellschaft sogar bei der Verheiratung der Tochter betrogen und von dem Herzen, in das sie nur edle Gesinnungen zu säen versucht hatte, nicht anerkannt, vereinigte sie sich aufs innigste mit Gott, dessen Hand sie so schwer getroffen hatte. Diese fast wie eine Nonne lebende Frau ging jeden Morgen in die Kirche, erfüllte die strengen klösterlichen Vorschriften und sparte sich Geld ab, um die Armen zu unterstützen.
Hat es schon einmal ein heiligeres und schwerer geprüftes Leben gegeben als das dieser edlen Frau, die so sanft trotz ihres Mißgeschicks, so mutig in der Gefahr und immer so wahrhaft christlich gesinnt ist?« sagte der wackere Alain, als er Gottfrieds erstauntes Gesicht sah. »Sie kennen die gnädige Frau, Sie können beurteilen, ob es ihr an Verstand, Urteil, Überlegung mangelt; sie besitzt alle diese Eigenschaften im höchsten Grade. Nun, diese Unglücksfälle, die genügen würden, zu sagen, daß ein solches Leben alle anderen an Mißgeschick überträfe, sind nichts im Vergleich mit dem, was Gott dieser Frau noch vorbehalten hatte. Befassen wir uns zunächst nur mit der Tochter der Frau de la Chanterie«, mit diesen Worten nahm der gute Alte den Faden seiner Erzählung wieder auf. »Mit achtzehn Jahren, zur Zeit als sie sich verheiratete, war Fräulein de la Chanterie ein junges Mädchen von zarter Konstitution, brünett, von frischen Farben, schlank, mit einem reizenden Gesicht. Über einer Stirn von edlem Schnitt sah man das schönste schwarze Haar, das vortrefflich zu den braunen Augen und dem heiteren Gesichtsausdruck paßte. Eine gewisse Zierlichkeit ihrer Physiognomie täuschte über ihren wahren Charakter und ihre männliche Entschlossenheit. Sie hatte kleine Hände und Füße und etwas Zartes und Schwächliches in ihrer ganzen Erscheinung, das jeden Gedanken an Kraft und Lebhaftigkeit ausschloß. Da sie immer bei ihrer Mutter gelebt hatte, so war sie von vollkommener Sittenreinheit und bemerkenswerter Frömmigkeit. Das junge Mädchen war ebenso wie Frau de la Chanterie den Bourbonen bis zum Fanatismus ergeben, eine Feindin der Französischen Republik und sah auch die Regierung Napoleons nur als eine Strafe an, die die Vorsehung Frankreich für die Attentate von 1793 auferlegt hatte. Die Übereinstimmung der Ansichten von Schwiegermutter und Schwiegersohn war, wie immer bei solchen Gelegenheiten, einer der für die Heirat entscheidenden Gründe gewesen, für die sich ja auch die ganze Aristokratie des Landes interessierte. Der Freund des Elenden hatte seit der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten im Jahre 1799 einen Trupp der Chouans befehligt. Es scheint, daß der Baron (der Schwiegersohn der Frau de la Chanterie war Baron), als er seine Frau und seinen Freund zusammenbrachte, keine andere Absicht dabei hatte, als sich dieser Neigung zu bedienen, um dann Hilfe und Unterstützung von ihnen zu verlangen. Obgleich mit Schulden überhäuft und ohne Existenzmittel, lebte der jugendliche Abenteurer sehr gut und konnte in der Tat den Begünstiger royalistischer Verschwörungen leicht unterstützen.
Hier muß ich einige Worte über eine Vereinigung einfügen, die damals viel Lärm machte«, unterbrach Alain seine
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