Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)
das hinter dieser einleitenden Auseinandersetzung verborgen war.
Heute abend«, sagte der gute Alte, nachdem er auf die kleine Kaminuhr gesehen hatte, »ist es schon zu spät geworden, und wir würden noch lange Zeit brauchen, wenn ich Ihnen den Rest dieser Geschichte erzählen wollte. Der alte Bordin, mein Freund, der durch die Führung des Prozesses Simeuse bei der royalistischen Partei berühmt geworden ist, der in dem Kriminalprozeß der sogenannten Chauffeurs von Mortagne die Anklage vertrat, hat mir nach meiner Niederlassung hier zwei Schriftstücke übergeben, die ich aufbewahrt habe; denn er ist bald darauf gestorben. Sie werden darin die Dinge in viel gedrängterer Darstellung, als ich sie Ihnen zu geben vermöchte, lesen können. Es sind so zahlreiche Tatsachen, daß ich mich in Einzelheiten verlieren würde und mehr als zwei Stunden darüber reden müßte, während Sie sie hier zusammengefaßt in Händen haben. Morgen früh werde ich Ihnen das, was Frau de la Chanterie betrifft, zu Ende erzählen; Sie werden nach der Lektüre so gut Bescheid wissen, daß ich nur noch wenige Worte hinzuzufügen brauche.« Darauf übergab der Wackere Gottfried einige vom Alter vergilbte Papiere; dieser wünschte seinem Nachbar gute Nacht und zog sich in sein Zimmer zurück, wo er vor dem Einschlafen folgende beiden Aktenstücke durchlas:
»Anklageakte. Sondergericht für Strafsachen des Departements l'Orne.
Der Generalstaatsanwalt beim Kaiserlichen Gerichtshof von Caen, der mit der gleichen Funktion bei dem besonderen Strafgerichtshof in Alençon durch Kaiserliches Dekret vom September 1809 betraut ist, unterbreitet dem Gerichtshof als Ergebnis des Untersuchungsverfahrens folgenden Tatbestand:
Ein von langer Hand und mit unerhörter Frechheit vorbereitetes räuberisches Komplott, das in Zusammenhang mit dem Aufstand der weltlichen Departements steht, hat mehrfache Attentate auf Bürger und ihre Besitzungen, vor allem aber einen Angriff und eine Beraubung eines Wagens, der am ... Mai 180... die Staatskasse von Caen transportierte, mit bewaffneter Hand zur Folge gehabt. Dieses Attentat, das an den beklagenswerten, glücklicherweise erloschenen Bürgerkrieg erinnert, war die Ausführung verbrecherischer Pläne, die sich durch keine Gewalt der Leidenschaften rechtfertigen lassen.
Von seinem Beginn bis zu seiner Ausführung ist das Komplott so verwickelt und seine Einzelheiten so zahlreich, daß die Untersuchung mehr als ein Jahr gedauert hat; nun aber ist über alle einzelnen Schritte des Verbrechens, über die Vorbereitungen, die Ausführung und die Folgen Klarheit geschaffen worden.
Der erste Gedanke des Komplotts ist einem gewissen Charles-Amédée-Louis-Joseph Rifoël, der sich Chevalier du Vissard nennt, da er in Vissard, einer Gemeinde von Saint-Mexme bei Ernée geboren ist, einem ehemaligen Anführer der Rebellen, zuzuschreiben.
Dieser Schuldige, der von Seiner Majestät dem Kaiser und König anläßlich der definitiven Beendigung der Unruhen begnadigt wurde, und der die Großmut des Souveräns mit neuen Verbrechen beantwortete, hat seine zahlreichen Missetaten bereits mit dem Tode gebüßt; aber es ist nötig, auf einige seiner Taten zurückzugreifen, denn er hat seinen Einfluß auf die jetzt vor Gericht stehenden Angeklagten ausgeübt und steht in Beziehung zu jeder Einzelheit des Prozesses.
Dieser gefährliche Agitator, der sich, entsprechend den Gewohnheiten der Rebellen, unter dem Namen Pierrot verbarg, trieb sich in den weltlichen Departements herum und sammelte die Elemente für eine neue Verschwörung um sich; sein sicherstes Asyl aber war das Schloß Saint-Savin, der Wohnsitz einer Dame Lechantre und ihrer Tochter, der Dame Bryond, in der Gemeinde Saint-Savin im Bezirk von Mortagne gelegen. Dieser strategische Punkt ist mit den furchtbarsten Erinnerungen an den Aufstand von 1799 verknüpft. Hier wurde der Postkondukteur ermordet und sein Wagen von einer Räuberbande unter dem Befehl einer Frau, der der allzuberüchtigte Marche-à-Terre Beistand leistete, ausgeplündert. Die Räuberei ist also in dieser Gegend sozusagen endemisch.
Intime Beziehungen, die wir nicht näher bezeichnen wollen, bestanden seit mehr als einem Jahre zwischen der Dame Bryond und dem Manne, der sich Rifoël nannte.
In dieser Gemeinde fand nun im Monat April des Jahres 1808 eine Zusammenkunft zwischen Rifoël und einem gewissen Boislaurier, Oberbefehlshaber und bekannt unter dem Namen August bei den verhängnisvollen Aufständen im
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